Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
Vom Netzwerk:
nicht allzu schwere Gepäckstück die breite, mit Teppichboden belegte Treppe hinauf. Er genoss die Stille, die seine Schritte begleitete, das gedämpfte Tappen seiner Schuhe, von denen er gewohnt war, dass sie lautstark gegen nackten und harten Boden hämmerten, begleitet von unzähligen anderen und mindestens ebenso lauten Stiefeln.
    Wenn die Ruhe auch etwas Bedrückendes barg, so stellte sie doch zumindest eine Abwechslung dar zu dem manchmal schon ohrenbetäubenden Lärm, der sich beim Aufeinandertreffen von mehr als hundert Jungen verschiedener Altersstufen früher oder später als obligatorisch herausstellte.
    Im ersten Stock angekommen, schulterte Olaf den Koffer und warf einen Blick in den Gang zu seiner Rechten. Doch er brachte es nicht über sich, weiterzugehen. Leiser noch als zuvor, als fürchte er, dass seine Anwesenheit bemerkt werde, trat er den Weg nach links an, wo sein Zimmer, wie er wusste, unberührt auf ihn wartete.
    Dort angekommen schloss er die Tür hinter sich und warf das Gepäckstück mit einem Seufzer auf sein Bett, ließ sich daneben sinken.
    Seine Mutter hatte ihn mit Sicherheit gehört. Andererseits war Olaf sich auch unklar darüber, was es mit der Bettruhe auf sich hatte, von der ihm erzählt worden war, doch über die Fragen zu stellen, er nicht gewagt hatte und auch jetzt nicht wagte.
    Verschwommen kam ihm zu Bewusstsein, dass es sicherlich ein Zeichen des Anstandes gewesen wäre, hätte er von sich aus seine Mutter begrüßt.
    Doch mehr als ein Gefühl des Unbehagens hielt ihn davon ab. Vielleicht wollte sie nicht gestört werden. Vielleicht war diese Bettruhe eine Krankheit, die Quarantäne erforderte.
    Olaf entschied sich, auf Nummer sicher zu gehen, und weitere Instruktionen abzuwarten. Entschlossen erhob er sich, öffnete Schränke und Schubladen und begann den Inhalt des Koffers unter die fast vergessenen Kleidungsstücke zu ordnen, die nun schon seit zwei Jahren hauptsächlich unberührt ein von aller Welt vergessenes Dasein führten.
    Die Inspektion dauerte an, und Olaf war gerade dabei, sich in ein einen alten Atlas zu vertiefen, dessen Bilder ihn schon als kleiner Junge fasziniert hatten, als das vertraute Geräusch eines herannahenden Wagens ihn das Buch aus den Händen legen ließ und zum Fenster trieb.
    Er zog die schweren, dunklen Vorhänge, die ohnehin nur einen Spalt offen standen, zur Seite und beobachtete seinen Vater dabei, wie er in gewohnt steifer Haltung, dem Auto entstieg. Wie immer zeigte sein Anzug nicht eine Falte, war sein graumeliertes Haar sorgfältig gestutzt, sein Gesichtsausdruck neutral bis ernst. Er machte sich nicht die Mühe zu dem Fenster hinaufzusehen, hinter dem Olaf wartete und es war auch nicht so, als hätte Olaf ein Zeichen von Interesse wie dieses erwartet.
    Er lauschte auf die eiligen Schritte der Haushälterin, die seinem Vater die Tür öffnete. Gedämpftes Gemurmel, das er nicht verstehen konnte, drang an sein Ohr und Olaf beschlich das eindeutige Gefühl, dass es dabei um ihn ging.
    Er täuschte sich nicht, denn nicht kurze Zeit später klopfte es an seiner Zimmertür. Olaf sprang auf und öffnete hastig. Seine Lippen bewegten sich, doch die Laute blieben ihm im Hals stecken, als er das Hausmädchen erkannte, das die Bänder ihrer Schürze versonnen glatt strich.
    „Dein Vater bittet dich hinunterzukommen“, sagte sie und wandte sich daraufhin rasch zur Seite, um ihren anderen Pflichten nachzukommen, von denen Olaf nur eine unklare Vorstellung hatte.
    „Ich bin unterwegs“, rutschte es ihm heraus und er schlug die Augen nieder, beschämt, zuerst bei einer Schwäche und dann mit flapsiger Ausdrucksweise ertappt worden zu sein. Das Hausmädchen ignorierte ihn jedoch bereits. Olaf trat einen Schritt in sein Zimmer zurück und atmete tief durch.
    Dann nahm er das dunkelblaue Internatsjackett mit dem aufgestickten Wappen vom Stuhl, über dessen Lehne er es achtlos geworfen hatte, strich den Stoff glatt und schlüpfte hinein. Mit den Fingern fuhr er sich einmal durchs Haar, versuchte mögliche widerspenstige Locken auszubügeln und verließ dann eiligen Schrittes den Raum. Beinahe überhastet lief er den Gang entlang und schließlich die Treppe hinab.
    Der Ort, an dem sein Vater sich aufhielt, musste ihm nicht erst genannt werden. Olaf wusste auch so, wo er ihn um diese Zeit des Tages finden würde.
    Und er wurde nicht überrascht.
    Hannibal Stadlhausers Arbeitszimmer beinhaltete neben zwei Schreibtischen, einem Sekretär und mehreren

Weitere Kostenlose Bücher