Ueber den Horizont hinaus - Band 1
machen soll.“
Olaf knirschte mit den Zähnen. „Wann kommen sie wieder?“
„Ende der Woche.“
Olaf überflog in Gedanken die Termine der nächsten Tage. „Ist in Ordnung“, sagte er dann. „Ich bin unterwegs.“
Natürlich dauerte es geraume Zeit bis er in seinem Elternhaus eintraf.
Olaf sah sich um, doch wie erwartet war von den Angestellten keine Spur zu sehen. Dieses Mal hatte er sich einen Mietwagen genommen und damit die Strecke vom Flughafen so rasch er es wagte, zurückgelegt.
Obwohl er Christian keinen Zeitpunkt seiner Ankunft hatte angeben können, war er nicht überrascht, den Jungen auf den Stufen vor dem Haus sitzen zu sehen.
Er wartete auf ihn, so wie er immer zu warten schien.
Olaf parkte das Auto und stieg aus.
Zum ersten Mal, ausgenommen der Trotzphasen, während derer Christian zeitweise nichts mit Olaf hatte zu tun haben wollen, sogar vor ihm davon gerannt und ihn angeschrien, ihm vorgeworfen hatte, er würde ja doch wieder gehen und sollte gleich ganz wegbleiben, kam Christian nicht auf ihn zugelaufen.
Stattdessen blieb er eine Weile vor der Treppe stehen, scharrte unsicher mit den Füßen im Kies bevor er aufsah.
Erst als Olaf näher kam, bemerkte er das dunkel verfärbte Auge und den Schnitt über der Augenbraue, der unzulänglich von Christians Haar verdeckt wurde und seine Schritte beschleunigten sich.
Als er vor seinem Bruder stand, strich er ihm vorsichtig das Haar aus dem Gesicht und legte den Kopf schief.
Und erst jetzt sah Christian unglücklich zu ihm auf.
„Was hast du dir nur dabei gedacht“, fragte Olaf leise und ein wenig erschrocken, kam ihm doch erst jetzt zu Bewusstsein, dass Christian ernsthaft verletzt sein könnte.
„Ich war dumm“, sagte dieser scheu. „Ich wusste, wo Paps den Schlüssel aufbewahrt, und… ich hab etwas getrunken und dann nicht mehr nachgedacht.“
Olaf rollte mit den Augen. „Getrunken auch? Wo ist es passiert?“
Christian winkte in Richtung des Hauses. „Hinten. Ich bin nicht weit gekommen.“ Er lächelte nervös. „War wohl mein Glück.“
Olaf schüttelte den Kopf. „Das kann gut sein. Na, dann sehen wir uns die Bescherung mal an.“
„Bist du böse?“, fragte Christian, als er neben dem Größeren einher trabte.
„Böse?“, sagte dieser nachdenklich. „Eher verwundert, dass du so etwas Dummes getan hast.“
„Ja.“ Christian nickte, als verstünde er vollkommen. „Es kommt auch nicht wieder vor, ich verspreche es.“
„Das wär auch besser so.“
Olaf verstummte, als sie bei dem Auto ankamen, das tatsächlich reichlich verbeult wirkte. Die Scheibe war zersplittert, Blech und Kühler eingedrückt. Und Olaf wurde mit einem Mal klar, was alles hätte passieren können, und der Gedanke schnürte ihm die Brust ab.
Er drehte sich zu Christian um. „Das kommt nie wieder vor!“, sagte er schneidend, mit aller Kraft die Erkenntnis verdrängend, dass er seinen Bruder verlieren konnte, dass dessen Leben zerbrechlich und endlich war, so wie das eines jeden anderen.
Nur dass Olaf diesen Verlust nicht ertragen könnte, zu lange nicht mehr darüber nachgedacht hatte, dass die Möglichkeit bestand.
Er ballte die Hände zu Fäusten, schob sie dann resolut in seine Taschen.
„Ich rufe den Mechaniker“, sagte er mit unverkennbarer Heiserkeit in der Stimme. „Wenn wir Glück haben, wird er rechtzeitig fertig. Dann bezahle ich ihn und niemand wird davon erfahren.“
Christian entließ hörbar Luft aus seinen Lungen. „Danke“, murmelte er und sah auf seine Füße. Olaf blickte sich zu ihm um, bemerkte die zusammengesackte Gestalt, die vorgeschobenen Schultern.
Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das wird schon“, versprach er. „Du hast einen Schreck bekommen. Und ich auch.“
Christian nickte. „Ich weiß“, sagte er kläglich. „Ich will es auch wieder gut machen.“
Olaf lächelte gezwungen. „Dann mach mir etwas zu essen“, schlug er vor.
*
Später am Abend, als OIaf seine letzten Telefongespräche geführt und sich in sein ehemaliges Zimmer, aus dem mittlerweile ein Gästezimmer geworden war, zurückgezogen hatte, sich auf das Bett setzte und versuchte, das Bild des zerknautschten Wagens zu verdrängen, öffnete sich die Tür und Christian kam herein, bereits in Sweat-Hosen und T-Shirt.
Christian sah nicht auf, als er eingetreten war. Stattdessen drehte er sich um und schloss die Tür langsam wieder hinter sich, blieb einen Moment stehen und wandte sich dann erst dem anderen zu.
Seine
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