Über den Missouri
Bär aus der Höhle kommt, nach Mitternacht … der Bär … das wißt ihr doch?«
»Nein«, antworteten die Buben. Sie wußten nichts.
Blitzwolke vergewisserte sich, daß noch keiner der Erwachsenen Miene machte, in das Zelt hereinzukommen, dann erzählte sie: »Droben am Berg ist die Höhle, in der die alte Bärin schläft, die große Geheimnisfrau! Sie ist uralt, und sie hat schon gelebt, als die Menschen und die Tiere noch Brüder und Schwestern waren und dieselbe Sprache sprachen. Ihr Sohn war ein gewaltiger Bär, der allergewaltigste zwischen den großen Wassern. Er hatte ein Zauberzelt, und als eine schöne Frau eines Abends zu ihm kam, ward er am Morgen ein Mensch. Er ward ein großer und starker und kluger Krieger und Zaubermann, den niemand bezwingen konnte. Er ist der Ahnherr Mattotaupas und Tokei-ihtos!«
»Ja!« sagten Hapedah und Tschaske bestätigend wie aus einem Mund.
»Ja«, bekräftigte das Mädchen. »Aber die Bärin lebt noch, die alte, und sie schläft in der Höhle droben, solange unsere Häuptlinge tapfer und stark bleiben. Wenn sie aber ihren Ahnherrn verraten, kommt sie hervor und erdrückt sie mit ihren eigenen Tatzen …«, das Kind stockte bei der grausigen Vorstellung, »… und dann stirbt sie selbst. So hat Hawandschita meiner alten Mutter gesagt.«
Blitzwolke horchte. Draußen vor dem Zelt war frohe Unruhe. Der Häuptling und seine Krieger wurden im Lager begrüßt. Bald würden die müden Krieger in das Zelt eintreten. Blitzwolke wandte sich halb um, bereit, das Tipi jeden Augenblick zu verlassen.
»Sie hat Tokei-ihto beleidigt, und ich wollte ihr Geist würde endlich gezähmt werden«, flüsterte sie außer sich und ganz blaß den Knaben noch rasch zu. »Sie hat gesagt, daß wir alle abtrünnig werden vom großen Stamm der Dakota und das Land der Väter verlassen und daß unser Häuptling Red Fox nicht getötet und Mattotaupa nicht gerächt habe, und die Bärin wird kommen und ihn erwürgen, und Unglück wird über uns alle hereinbrechen …«
Hapedah sprang auf. »Binde deine Zunge an«, rief er, heiser vor Zorn, »damit sie diese Worte nicht noch einmal spricht!«
»Wenn es aber wieder wahr wäre …!« Blitzwolke wisperte die Worte nur schnell, dann entfloh sie dem Tipi.
Hapedah und Tschaske nagten an ihren Lippen und sahen zu Boden. Wo war die Freude geblieben, mit der sie die letzten Tage durchlebt hatten? Es war, als ob eine dunkle Wolke aufgezogen sei. Tokei-ihto hatte seinen Vater bis heute nicht an Red Fox zu rächen vermocht – das war ein furchtbarer Vorwurf. Diese Weiber sollten ihn nicht aussprechen.
Der Tag verging mit dem Nachholen des versäumten Nachtschlafes, mit Ruhen und Essen. Blitzwolke und auch Tschapa waren Dauergäste im Zelt Tokei-ihtos geworden. »Sie ist wieder ganz besessen«, hatte Tschapa erzählt, seine Aufdringlichkeit entschuldigend. »Es ist nicht zu ertragen.«
Der Häuptling war noch einmal aufgebrochen, allein und nur mit dem Knochenbogen bewaffnet. Es wurde Nacht, und Tokei-ihto war noch nicht zurück.
Ohitika kam ins Zelt herein. Er lief mit der Nase am Boden umher und entfernte sich dann enttäuscht. Der Häuptling hatte ihn nicht mitgenommen, was er sonst oft tat. Da es schon dunkel geworden war und kein Feuer im Zelt gemacht werden durfte, verschwammen die Umrisse der Zeltinsassen zu undeutlichen Schatten.
Das Stillsein und Warten beschwerten den Mut. Wann kam Tokei-ihto zurück? Wer hatte dieses Geschwätz über den Häuptling entzündet wie einen Funken, der jetzt weiterfraß und allmählich wie ein Feuer brannte?
Hapedah war froh, als sich jenseits des Flusses Geräusche hören ließen, die alle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen und das unnütze Grübeln beendeten. Kojoten kläfften. Der Geruch des frischen Beutefleisches lockte sie an. Ohitika stürzte davon, und die Ohren der Knaben vernahmen bald die verbissenen knirschenden Laute, mit denen die Vierbeiner drunten am Wasser kämpften.
Ohitika erhielt von den fünf übriggebliebenen Dorfhunden Hilfe, aber vielleicht hatten sich im Wald auch die großen grauen Wölfe eingefunden, die den Hunden gefährlich zusetzten. Die Knaben liefen hinaus. Sie kamen jedoch nicht zu irgendwelchem Eingreifen, denn Ohitika kehrte eben als Sieger zurück. Er setzte sich vor das Tipi und leckte eine Bißwunde am Rücken.
Als Hapedah und Tschaske wieder in das Zelt eintreten wollten, spitzte Ohitika plötzlich die Ohren. Gleich darauf lief er in den Wald hinauf. Sein freudiges Gejaule
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