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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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der Schneeschmelze in den Bergen und des Hochwassers.
    Der Delaware hatte dem Mädchen, das den getöteten Knaben trug, eine der Militärdecken gegeben, die aus dem Lager bei dem hohen Pappelbaum stammten. Die Leiche wurde in die Decke eingeschlagen, und die junge Witwe, die den Biber bedient hatte, löste Sitopanaki beim Tragen der Last ab. Die Frau hatte ein von Freundlichkeit und Necklust geformtes Gesicht, das auch jetzt, da sie traurig und erschöpft war, diesen Charakter nicht ganz verlieren konnte und bei aller Magerkeit durch die Knochenbildung noch rundlich wirkte. Ein kleiner Junge hielt sich zu ihr, das mußte wohl ihr Sohn sein.
    Tschapa betrachtete diese Frau mehr und mehr mit einer Art von Güte und Wohlwollen.
    Ohne Pause liefen die Frauen und Kinder Stunde um Stunde, wie sie es von jeher gewohnt waren, und die Dakota ritten gleichmütig im Schritt hinterher. Tschetansapa wartete darauf, daß sein Gegner zusammenbrechen würde, aber der Gefangene spürte den prüfenden Blick des Feindes, und seine Knie wankten nicht.
    Zwischen Schwarzfalke und seinen Freunden war seit dem Aufbruch noch kaum ein Wort gesprochen worden. Jetzt endlich schien der Biber nicht mehr an sich halten zu können.
    »Was willst du mit den vielen Weibern?« forschte er, und als Schwarzfalke ihm keine Antwort gab, setzte er hinzu: »Denke nicht, daß ich mehr als diese eine da in mein Zelt nehme; du kannst die übrigen selber behalten. Warum hast du sie nicht gelassen, wo sie waren?«
    »Sollten sie verhungern? Sie haben keine Krieger mehr und keine Waffen.«
    Der Biber war erstaunt und betrachtete seinen Freund von der Seite. »Ja … wenn du so denkst …«
    Schwarzfalke schaute trotzig geradeaus. Er hatte die Frage des Bibers kommen sehen und sich schon darüber geärgert, ehe sie ausgesprochen worden war.
    Von den Dakota hatte sich abwechselnd einer auf Spähdienst begeben. Als der ältere Rabe nach Mittag von einem solchen Ritt zurückkehrte, meldete er, daß er einen Kundschafter Tokei-ihtos getroffen habe und daß das Lager nur noch wenige Stunden entfernt sei.
    Gegen Abend näherte man sich dem Lagerplatz. Die Späher mußten das Nahen der Krieger, den Tod des Alten Raben und die Beute an Gefangenen gemeldet haben. Von dem Sieg Schwarzfalkes und seiner Männer über Roach und Schonka wußte man bei dem Wanderzug längst, denn die Pferde und Maultiere der feindlichen Truppe waren dort schon eingetroffen.
    Die braunhäutigen Buben tauchten auf, allen voran die beiden Bärenknaben. Sie ritten Beutepferde. Ein paar Wolfshunde sprangen zwischen den jugendlichen Reitern umher. Hochauf rissen die Jungen die Pferde, sie warfen sie herum und umkreisten die Heimkehrenden und die Gefangenen. In ihrer Mitte brachten sie sie flußaufwärts zu der versteckten Senke, in der sich plötzlich der Blick auf die Zelte auftat.
    Da standen sie, die Tipi, Heimat der Heimatlosen. Auf den Lederwänden leuchteten die schützenden Zauberzeichen farbkräftig in der Abendsonne. Da der Tag warm gewesen war, hatten die Frauen und Töchter die Lederplanen von den spannenden Pflöcken gelöst und sie aufgeschlagen. Schon sahen die zurückkehrenden Krieger die Decken und Felle, die Schüsseln und Töpfe. Kurz vor dem Lager hielt Schwarzfalke den Hengst an. Sein Blick flog zu dem mit Donnervögeln und Schlangen bemalten Zauberzelt. Hawandschita trat hervor. Schwarzfalke und seine Männer sprangen ab und traten vor den weißhaarigen Geheimnismann. Sie berichteten ihm mit kargen Worten, was geschehen war, und wiesen auf den toten Raben und auf die Gefangenen.
    »Der Tote wird durch einen Toten gerächt«, urteilte der alte Zauberer, und er zog sein Messer und stieß es dem einen der drei gefesselten Schwarzfüße ins Herz. Der Getötete sank ins Gras. »Er gehört den Rabenbrüdern«, sprach der unbarmherzige Hawandschita weiter, »er und sein Skalp und seine Waffen. Sein Skalp und seine Waffen sollen den Alten Raben in die ewigen Jagdgründe begleiten. Ihr gebt sie ihm mit.«
    Der Zauberer hatte den uralten Gesetzen der Sippenrache Genüge getan, die eine nie endende Feindschaft zwischen den indianischen Stämmen wachhielten.
    Tschetansapa reichte den beiden Rabensöhnen schweigend die Waffen, die dem getöteten Schwarzfuß gehört hatten. Die Brüder nahmen sie in Empfang und brachten ihren toten Vater, den von Hawandschita getöteten Siksikau und die Waffen zu ihrem Zelt. Dumpf begannen die Klageweisen um den gefallenen Raben zu erschallen, der gerächt war,

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