Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe
der ersten Fassung noch hieß,
Siehe (Fannys) Stellas Tränen
Sehet diese (Fanny) Stella haßt ihr!
Stella! (Fanny!) vergiß mich
Stella! (Fanny!) ach! 8
Mit dem zweiten, durchgestrichenen Namen ist die Anbetung gleich viel näher am Leben, denn wer hat nicht schon einmal seine Liebeserklärung recycelt? Hölderlin tat es bestimmt. Die Dokumente entlarven gründlich das Bild des sanftmütigen, asexuellen, nur dem Geistigen zugewandten Sensibelchen, das etwa Peter Härtling zeichnet. Hölderlin scheint, wenn schon kein Lebemann, ein wirklicher Beau gewesen zu sein, hochgewachsen und muskulös, der die Frauen nicht nur mit schönen Versen ins Kornfeld gelockt haben dürfte und sie nicht nur wegen seiner poetischen Bestimmung sitzen ließ. Noch im Stift löst er die Verlobung mit Louise Nast unter dem fadenscheinigen Vorwand, zuerst einen Stand erlangen zu wollen, der einer so wunderbaren Dame angemessen sei, aber sie möge sich um Gottes Willen keinesfalls gebunden fühlen, mit der Karriere könne es ja auch schiefgehen:
Lebe wohl, teures einziggeliebtes Mädchen. 9
Wenig später brüstet Hölderlin sich vor Freunden, gegenüber der sechzehnjährigen Elise Lebret »seelenvergnügt« 10 den Kaltblütigen gespielt zu haben, um ihr Herz zu entflammen. Zwar geht die Taktik auf, doch die neuerlichen Gedanken an dauernde Bindung hindern ihn nicht daran, kurz darauf von einer anderen »holden Gestalt« zu schwärmen, die nicht einmal D.E. Sattler identifizieren kann. Leider ist sie ihm nicht bestimmt, klagt Hölderlin,
Aber ists nicht thörigt und undankbar, ewige Freude zu wollen, wenn man glücklich genug war, sich ein wenig freuen zu dürfen. 11
Während Neuffer Hölderlin bereits schreibt, daß dessen Tanzpartnerin Lotte Stäudlin »sich mannigmal bei mir nach Dir erkundigt«, 12 schreibt Hölderlin an Neuffer noch von seiner Bekanntschaft mit Elise Lebret, von der sich wieder zu trennen ihm später zu mühselig ist, so daß er es von der Mutter ausrichten läßt:
sagen Sie, was Sie vielleicht schon gesagt haben, ich sei verreist, und schreibe nicht. 13
Und dann ist da bekanntlich noch – alles vor Suzette Gontard – Wilhelmine Kirms in Waltershausen, die ein uneheliches Kind zur Welt bringt, nachdem Hölderlin Waltershausen »auf die ruhigste delikateste Weise« 14 verlassen hat, wie seine Gönnerin Charlotte von Kalb verständnisvoll erwähnt. Nein, Hyperion mag in seiner Erregung immerzu Himmlisch! und Göttlich! stammeln, Hölderlin hingegen scheint sehr genau gewußt zu haben, daß Erregung Sex ist, Angst, Zweifel, Herzpochen, steifer Schwanz und feuchte Möse. Wo Hyperion ewige Freude will, war Hölderlin glücklich, sich auch ein wenig freuen zu dürfen.
Seine Liebe ist neu entflammt, seine Familie wieder vereinigt, seine Frau nicht nur wundersam geheilt, sondern zum zweiten Mal schwanger, als der Romanschreiber den fünften Band der Leseausgabe erreicht und damit zurück beim Hyperion ist. Das Beseelte, das er vorher kaum aushielt, dieser durchlaufend hohe Ton kommt ihm jetzt wie ein Kode vor, eine Kunstsprache, dank derer Hölderlin die Psychologie hinter sich läßt, die Goethe im Werther von der ähnlich stürmischen Liebe des Empfindsamen zur Anmutigen nur behauptet. Der Vorzug des Hyperions , Seelenregungen nicht als psychologisch zu behaupten, die theologisch und poetisch gewollt sind, ist schon auf der elementarsten Ebene zu beobachten: Hölderlin übertreibt so sehr mit seinen Heulkrämpfen, Seufzereskapaden und Fußfällen, daß man sich die beschriebenen Situationen nur einmal konkret vorstellen muß, um das Zeichenhafte zu erkennen, den Formalismus aller Gesten und Wörter; es muß nicht einmal der Verbalorgasmus sein, zu dem jedes Techtelmechtel gerät. Will Hölderlin wirklich glauben machen, daß Menschen – und zwar nicht nur die Liebenden – alle naslang in einen Taumel geraten, bei der Begrüßung heulen und bei jedem Wort voreinander niederfallen oder gleich die Besinnung verlieren? Nicht nur ein Leben – das Leben; nicht nur eine Liebe – die Liebe; nicht nur die Erde – auch das Überirdische, die Vereinigung nicht nur mit der Geliebten, sondern zugleich mit dem All:
Ich habe dir’s schon einmal gesagt, ich brauche die Götter und die Menschen nicht mehr. Ich weiß, der Himmel ist ausgestorben, entvölkert, und die Erde, die einst überfloß von schönem menschlichem Leben, ist fast, wie ein Ameisenhaufe, geworden. Aber noch giebt es eine
Weitere Kostenlose Bücher