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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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einmal der Tod träte und antwortete. 2
     
    Bemerkenswert ist allenfalls, weil es auf eine psychologische und literaturgeschichtliche Konstante hindeutet, daß sich die Frage nach dem Tod auch Navid Kermani so grundlegend stellt, als er gemäß der durchschnittlichen Lebenserwartung seines Jahrgangs, Erdteils und Geschlechts jene »Hälfte des Lebens« erreicht, über die Hölderlin sein vielleicht berühmtestes Gedicht verfaßte:
     
    Mit gelben Birnen hänget
    Und voll mit wilden Rosen
    Das Land in den See,
    Ihr holden Schwäne,
    Und trunken von Küssen
    Tunkt ihr das Haupt
    Ins heilignüchterne Wasser.
     
    Weh mir!, wo nehm’ ich, wenn
    Es Winter ist, die Blumen, und wo
    Den Sonnenschein,
    Und Schatten der Erde?
    Die Mauern stehn
    Sprachlos und kalt, im Winde
    Klirren die Fahnen. 3
     
    Nun hat nicht Hölderlin, der ein ganzes Drama über den Tod schrieb, sondern Jean Paul, den man eher für seine Idyllen, seine kauzigen Helden und seinen putzigen Humor kennt, deutlicher als jeder andere deutsche Schriftsteller das Wissen um die eigene Endlichkeit, die Qual des Sterbens und die Unmöglichkeit, über den Tod hinauszusehen, als Ursache für das Bedürfnis des Menschen empfunden, etwas Unendliches, Ewiges, Göttliches zu postulieren. Daß es mit der Totenglocke klingelt, wenn einer von uns gemacht wird, wie es im Siebenkäs heißt, 4 ist ein oder sogar das eine Motiv, das sich durch sein gesamtes Werk zieht, am prominentesten im Siebenkäs selbst mit der ungeheuerlichen »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«:
     
    Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Kennt ihr das unter euch? Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich? – Zufall, weißt du selber, wenn du mit Orkanen durch das Sternen-Schneegestöber schreitest und eine Sonne um die andere auswehest, und wenn der funkelnde Tau der Gestirne ausblinkt, indem du vorübergehest? – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alles! Ich bin nur neben mir – O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Brust, daß ich an ihr ruhe?– Ach wenn jedes Ich sein eigner Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigner Würgengel sein? Ist das neben mir noch ein Mensch? Du Armer! Euer kleines Leben ist der Seufzer der Natur oder nur sein Echo – ein Hohlspiegel wirft seine Strahlen in die Staubwolken aus Totenasche auf euere Erde hinab, und dann entsteht ihr bewölkten, wankenden Bilder. – Schaue hinunter in den Abgrund, über welchen Aschenwolken ziehen – Nebel voll Welten steigen aus dem Totenmeer, die Zukunft ist ein steigender Nebel, und die Gegenwart ist der fallende. – Erkennst du deine Erde? 5
     
    Es muß ein Stück von der andern Welt in diese mit hereingemalt werden, damit sie ganz und gerundet werde, heißt es einmal im Siebenkäs , 6 und so ließe sich im Detail aufzeigen, wie genau und verwinkelt sich in der Einsamkeit Christi, der keinen Gott hat, die Einsamkeit aller Menschen spiegelt, etwa die Einsamkeit Firmian Siebenkäs’ nach dem Abschied von seinem Freund Leihgeber, den Jean Paul mit allen Farben eines Liebestods schildert:
     
    Nein, nein, ich hab’ es schon gewohnt, daß in der schwarzen Magie unsers Lebens an der Stelle der Freunde plötzlich Gerippe aufspringen – daß einer davon sterben muß, wenn sich zwei umarmen, daß ein unbekannter Hauch das dünne Glas, das wir eine Menschenbrust nennen, bläset, und daß ein unbekannter Schrei das Glas wieder zertreibt. 7
     
    Noch konzentrierter auf das Thema des Todes, genauer gesagt: die Angst vorm Sterben ist der Roman, den Jean Paul unmittelbar vor der Arbeit am Siebenkäs beendete: Das Leben des Quintus Fixlein aus fünfzehn Zettelkästen gezogen, nebst einem Mußteil und einigen Jus de tablette . An Pessimismus steigert insbesondere die Erzählung vom »Tod eines Engels«, die dem Roman als Prolog vorangestellt ist, sogar die Rede des toten Christus, insofern sie die Verlorenheit des Menschen in keinen metaphysischen Zusammenhang rückt. Nachdem sich sein Wunsch erfüllt, einmal zu sterben wie ein Mensch, ruft der Engel:
     
    O ihr gedrückten Menschen, wie überlebt ihr Müden es, o wie könnt ihr denn alt werden, wenn der Kreis der Jugendgestalten zerbricht und endlich ganz umliegt, wenn die Gräber eurer Freunde wie Stufen zu euerem eignen hinuntergehen, und wenn das Alter die stumme leere Abendstunde eines erkalteten Schlachtfeldes ist, o ihr armen Menschen, wie kann es euer Herz ertragen?

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