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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Achtung verdienen.
    Seine Werke können in drei Zweige getheilt werden: in strenge Wissenschaften, theologische Philosophie und Philosophie des Gemüths. Wer weiß denn nicht, daß Leibnitz Newtons Nebenbuhler in der Theorie des Calculs war? Die Kenntniß der Mathematik kommt den metaphysischen Studien sehr zu statten; in seiner höchsten Vollkommenheit findet das abstrakte Raisonnement nur in der Algebra und Geometrie Statt; und ob wir gleich an einem anderen Orte die Nachtheile dieses Raisonnements nachweisen werden, wenn man ihm nehmlich Alles unterwerfen will, was auf irgend eine Weise mit der Empfindsamkeit zusammenhängt: so giebt es doch dem menschlichen Geist eine Kraft der Aufmerksamkeit, die ihn weit fähiger macht, sich selbst zu zergliedern; auch muß man die Gesetze und die Kräfte des Universums kennen, um den Menschen unter allen Beziehungen zu studiren. Es giebt eine solche Aehnlichkeit und eine solche Verschiedenheit zwischen der physischen und der moralischen Welt, und diese Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten beleuchten sich unter einander so, daß man unmöglich ein Gelehrter vom ersten Range ohne spekulative Philosophie, oder ein spekulativer Philosoph ohne Kenntniß der positiven Wissenschaften seyn kann.
    Locke und Condillac hatten sich mit diesen Wissenschaften nicht hinlänglich beschäftigt; aber Leibnitz hatte in dieser Hinsicht eine unbestreitbare Ueberlegenheit. Descartes war auch ein sehr großer Mathematiker, und es ist zu bemerken, daß die meisten Anhänger des Idealismus unter den Philosophen einen unermeßlichen Gebrauch von ihren intellektuellen Fähigkeiten gemacht haben. Die Uebung des Geistes giebt, wie die des Herzens, ein Gefühl von innerer Thätigkeit, dessen alle diejenigen Wesen, welche sich den Eindrücken der Außenwelt hingeben, selten fähig sind.
    Unter den Schriften Leibnitzens nehmen die, welche man theologische nennen könnte, die erste Classe ein; denn sie gehen auf Wahrheiten, welche zur Religion gehören. In der zweiten Classe ist die Theorie des menschlichen Geistes enthalten. In jener handelt es sich um den Ursprung des Guten und Bösen, und die göttliche Vorsehung, kurz um jene ursprünglichen Fragen, welche über die menschliche Intelligenz hinausgehen. Ich mag, indem ich mich so ausdrücke, keinesweges die großen Männer tadeln, welche von Pythagoras und Platon bis auf uns sich an diese hohen philosophischen Spekulationen angezogen gefühlt haben. Das Genie setzt sich selbst erst dann Gränzen, wenn es lange gegen diese harte Notwendigkeit gekämpft hat. Wer kann die Fähigkeit zu denken haben, und sich nicht versucht fühlen, den Ursprung und Zweck der Dinge dieser Welt kennen zu lernen?
    Alles, was auf Erden Leben hat, den Menschen allein ausgenommen, scheint sich selbst nicht zu kennen. Er allein weiß, daß er sterben wird, und diese furchtbare Wahrheit weckt sein Interesse für alle große Gedanken, die sich hieran knüpfen. Sobald man des Nachdenkens fähig ist, löset man, oder glaubt man wenigstens alle die philosophischen Fragen zu lösen, welche das menschliche Geschick erklären; allein Keinem ist es gestattet, es in seinem ganzen Umfange zu fassen. Jeder faßt davon eine verschiedene Seite; Jeder hat seine Philosophie, wie seine Poetik, wie seine Liebe. Diese Philosophie steht in Uebereinstimmung mit der besonderen Richtung seines Charakters und Geistes. Erhebt man sich bis zum Unendlichen, so können tausend Erklärungen gleich wahr seyn, wie verschieden sie auch sind, weil gränzenlose Fragen Tausende von Ansichten darbieten, von denen eine einzige die ganze Dauer des Daseyns ausfüllen kann.
    Ist gleich das Geheimniß des Universums über dem Fassungsvermögen des Menschen, so giebt doch das Studium des Geheimnisses dem Geiste mehr Umfang. Mit der Metaphysik geht es wie mit der Alchymie; indem man den Stein der Weisen sucht, indem man es auf Entdeckung des Unmöglichen anlegt, findet man auf seiner Bahn Wahrheiten, die sonst unbekannt geblieben wären. Außerdem kann man ein sinniges Wesen nicht verhindern, sich eine Zeit lang mit übersinnlicher Philosophie zu beschäftigen; dieser Aufschwung der geistigen Natur kann nur dadurch bekämpft werden, daß man sie herabwürdigt.
    Mit Erfolg hat man die vorher festgestellte Harmonie Leibnitzens widerlegt, die er selbst für eine große Entdeckung hielt; er schmeichelte sich nemlich, das Verhältniß der Seele zu der Materie zu erklären, indem er beide als vorher gestimmte Instrumente

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