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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Fahrlässigkeit des Leichtsinns den Anstrich eines überlegten Raisonnements gegeben. Sie gewährt dem Egoismus scheinbare Argumente, und stellt die alleredelsten Gefühle in das Licht einer zufälligen Krankheit, von welcher äußerliche Umstände die einzige Ursache sind.
    Es ist also nicht unwichtig, zu untersuchen, ob die Nation, welche sich standhaft gegen eine Metaphysik gesträubt hat, die zu solchen Folgerungen führte, nicht Recht hatte, sowohl im Princip, als auch in der Anwendung, die sie von diesem Princip auf die Entwickelung der geistigen Vermögen und auf das moralische Betragen gemacht hat.
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Fünftes Capitel. Allgemeine Bemerkungen über die deutsche Philosophie.
    Die spekulative Philosophie hat unter den Nationen germanischen Ursprungs immer viele Anhänger gefunden; die Erfahrungs-Philosophie eben so viele unter den Nationen lateinischen Ursprungs. Die Römer, sehr geschickt in den Angelegenheiten des Lebens, waren keine Metaphysiker; sie haben in dieser Hinsicht nie mehr gewußt, als was ihre Verhältnisse zu Griechenland mit sich brachten, und die civilisirten Nationen haben meistentheils von ihnen ihre Kenntnisse in der Politik und ihre Gleichgültigkeit gegen Studien, welche sich mit keiner Anwendung auf die Angelegenheiten dieser Welt vertrugen, geerbt. Diese Anlage zeigt sich in Frankreich in ihrer größten Stärke; auch die Italiener und Spanier haben ihren Antheil daran, wiewohl die Einbildungskraft in den mittäglichen Ländern bisweilen von der praktischen Vernunft abgewichen ist, um sich mit rein abstrakten Theorien zu beschäftigen.
    Die Seelengröße der Römer gab ihrem Patriotismus und ihrer Moral einen erhabenen Charakter; allein dieser muß ihren republikanischen Institutionen zugeschrieben werden. Als die Freiheit nicht mehr zu Rom existirte, sah man daselbst einen selbstischen und sinnlichen Egoismus und eine gewandte Politik vorherrschen, welche alle Geister auf Beobachtung und Erfahrung hinleiten mußte. Von dem Studium der griechischen Literatur und Philosophie behielten die Römer nur den Geschmack für die Künste, und auch dieser artete sehr bald in grobe Genüsse aus.
    Roms Einfluß erstreckte sich nicht auf die mitternächtlichen Völker. Diese sind fast ganz durch das Christenthum civilisirt worden, und ihre alte Religion, welche die Grundsätze des Ritterwesens in sich schloß, hatte auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit dem Heidenthum der mittäglichen Länder. Es lag darin ein Geist heroischer hochherziger Hingebung, und ein Enthusiasmus für die Weiber, welcher aus der Liebe eine edle Verehrung machte; und indem die Strenge des Klima's den Menschen verhinderte, sich in die Hochgenüsse der Natur zu versenken, genoß er nur um so mehr die Freuden des Geistes.
    Man könnte mir einwerfen: die Griechen hätten dieselbe Religion und dasselbe Klima mit den Römern gemein gehabt, und sich doch mehr, als irgend ein anderes Volk der spekulativen Philosophie ergeben. Aber könnte man nicht einige von den intellektuellen Systemen, welche bei den Griechen entwickelt worden sind, den Indiern zuschreiben? Die idealistische Philosophie des Pythagoras und Platon paßt nicht zu dem Heidenthum, wie wir es kennen; auch führen alle historischen Ueberlieferungen zu dem Glauben, daß die mittäglichen Völker Europa's den Einfluß des Orients über Aegypten erhalten haben. Epikurs Philosophie ist die einzige ursprüngliche Philosophie Griechenlands.
    Wie es auch um diese Vermuthungen stehen möge: so ist so viel gewiß, daß die Spiritualität der Seele und alle daraus abfließenden Gedanken bei den nordischen Nationen leicht einheimisch geworden sind, und daß unter diesen Nationen die Deutschen sich mehr als jedes andere Volk zur spekulativen Philosophie geneigt gezeigt haben. Leibnitz ist ihr Bacon und Descartes. In diesem herrlichen Manne findet man alle Eigenschaften vereinigt, denen sich die deutschen Philosophen im Allgemeinen zu nähern rühmen: unermeßliche Gelehrsamkeit, vollkommene Treuherzigkeit und ein unter strengen Formen verborgener Enthusiasmus. Gründlich hatte er die Theologie, die Rechtgelehrsamkeit, die Geschichte, die Sprachen, die Mathematik, die Physik, die Chemie studirt; denn er war überzeugt, daß die Allgemeinheit der Kenntnisse nothwendig sey, um in irgend einem Fache hervorzuragen. Kurz, alles an ihm beurkundete diejenigen Tugenden, welche mit den erhabensten Gedanken in Verbindung stehen, und zugleich Bewunderung und

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