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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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entgegengestellt hätte. Leibnitz hatte noch allzu viel Uebergewicht in den Geistern seiner Landsleute, als daß sie nicht für jede, der seinigen ähnliche Meinung hätten Achtung haben sollen. Zehn Jahre hindurch haben eine Menge Schriftsteller nicht aufgehört, die Werke Kants zu commentiren. Aber gegenwärtig haben die deutschen Philosophen, obgleich in Ansehung der freien Tätigkeit des Gedankens mit Kant einverstanden, jeder ein besonderes System in dieser Hinsicht angenommen. Nun, wer hat denn nicht versucht, das Räthsel seines Innern nach seinen Kräften zu lösen? Folgt denn daraus, daß der Mensch eine unzählbare Menge von verschiedenen Erklärungen seines Wesens gegeben hat, daß diese philosophische Forschung unnütz sey? Gewiß nicht. Gerade diese Verschiedenheit ist ein Beweis von dem Interesse, welches eine solche Forschung einflößen muß.
    Man möchte sagen, es käme in unsern Tagen darauf an, über die moralische Natur des Menschen ins Reine zu kommen, und die Rechnung einmal für allemal abzuschließen, damit hinterher nicht mehr davon die Rede sey. Einige behaupten, die Sprache sey an dem und dem Tage fixirt worden, und seit diesem Augenblick sey die Einführung eines neuen Worts eine Barbarei. Andere meinen, die Regeln der dramatischen Kunst seyen in dem und dem Jahre definitiv festgestellt, und das Genie, welches daran das Mindeste verändern wolle, trage das große Unrecht, nicht vor diesem Jahre geboren zu seyn, wo alle vergangene, gegenwärtige und künftige literarische Erörterungen beendigt worden sind. In der Metaphysik vor allem hat man dahin entschieden, daß man seit Condillac's Zeiten keinen Schritt vorwärts thun könne, ohne sich zu verirren. Nur den physischen Wissenschaften gestattet man noch einige Fortschritte, weil man sie nicht abläugnen kann; allein in der philosophischen und literarischen Bahn möchte man den menschlichen Geist zwingen, immer in demselben Zirkel in den Ring der Eitelkeit zu stechen.
    Wahrlich, dadurch vereinfacht man das System des Universums nicht, daß man an jener Erfahrungs-Philosophie klebt, welche eine Art von Evidenz giebt, die in dem Princip falsch, wenn gleich in der Form scheinbar ist. Wenn man alles, was über die Kenntniß der Sinnenberührungen hinausgeht, als nicht vorhanden betrachtet: so ist nichts leichter, als Klarheit in ein System zu bringen, dessen Umkreis die Willkühr gezogen hat. Aber ist denn das, was über diese Gränzen hinausreicht, minder vorhanden, weil man es für nichts rechnet? Die nicht vollendete Wahrheit der spekulativen Philosophie nähert sich dem Wesen der Dinge unendlich mehr, als jene scheinbare Klarheit, die in der Kunst besteht, gewisse Schwierigkeiten zu entfernen. Wenn man in den philosophischen Werken des abgewichenen Jahrhunderts die so oft wiederholten Phrasen lieset: Wahr ist nur dies, alles Uebrige ist Chimäre ; so erinnert man sich unwillkührlich an die bekannte Geschichte eines französischen Schauspielers, der, als er sich mit einem weit dickeren Mann, als er selbst war, schlagen sollte, den Vorschlag that, daß auf dem Körper seines Gegners eine Linie gezogen werden müsse, über welche hinaus die Stöße für nichts gerechnet würden. Gleichwol war sowohl diesseits als jenseits dasselbe Wesen, welches den Todesstoß empfangen konnte. Aus dieselbe Weise können die, welche die Säulen des Herkules an den Rand ihres Horizonts stellen, schwerlich verhindern, daß jenseits ihrer Natur es noch eine gebe, wo die Existenz noch lebendiger ist, als in der materiellen Sphäre, auf welche man uns be,chränken möchte.
    Die beiden berühmtesten Nachfolger Kants sind Fichte und Schelling. Auch diese legten es darauf an, sein System zu vereinfachen; aber nur dadurch glaubten sie zum Ziele gelangen zu können, daß sie eine noch übersinnlichere Philosophie an die Stelle der Kantischen brächten.
    Mit fester Hand hatte Kant die Gebiete des Gemüths und der Sensationen abgemarkt. Dieser Dualismus war beschwerlich für Geister, welche in absoluten Ideen ausruhen wollen. Seit den Griechen bis auf unsere Zeiten hat man oft das Axiom wiederholt: daß das All ein Einiges ist , und die Bestrebungen der Philosophen haben immer daraus abgezweckt, in einem einzigen Princip, sey es der Seele, oder der Natur, die Auflösung des Räthsels der Welt zu finden. Ich will indessen die Behauptung wagen, daß einer von den Ansprüchen der Kantischen Philosophe auf das Vertrauen aller aufgeklärten Menschen, gerade darin besteht,

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