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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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werden.
    Anerkennen muß man gleichwol zwei große Vorzüge der Fichteschen Lehre. Der eine ist seine stoische Moral, welche keine Entschuldigung zuläßt; denn da alles von dem Ich herrührt, so muß auch dies Ich den Gebrauch verantworten, den es von seinem Willen macht. Der andere ist die Uebung des Denkens, welche zugleich so stark und so fein ist. daß der, welcher dies System begriffen hat, selbst dann, wenn er es nicht zu dem seinigen machen sollte, eine solche Kraft der Aufmerksamkeit und eine solche Schärfe der Zergliederung erworben haben würde, daß er beide hinterher spielend auf jedes andere Studium anwenden könnte.
    Wie man auch über die Nützlichkeit der Metaphysik urtheilen möge: so läßt sich nicht läugnen, daß sie die Gymnastik des Geistes ist. Den Kindern legt man mehrere Arten von Kämpfen in ihren ersten Jahren auf, wiewol sie nicht berufen sind, sich einstens auf diese Weise zu schlagen. Mit Wahrheit kann man behaupten, daß das Studium der idealistischen Metaphysik ein beinahe sicheres Mittel ist, die moralischen Fähigkeiten Derer zu entwickeln, die sich ihm hingeben. Wie alles Köstliche, so wohnt auch das Denken in unserem Innersten; denn auf der Oberfläche ist nur Albernheit und Seichtigkeit. Allein, wenn man die Menschen von Jugend auf gewöhnt, in ihrem Nachdenken zu forschen und alles in ihrem Gemüthe zu sehen, so gewinnen sie dadurch eine Stärke und eine Aufrichtigkeit des Urtheils, die sich nie wieder verlieren.
    In abstrackten Ideen ist Fichte ein mathematischer Kopf, wie Euler und La Grange. Er hat einen merkwürdigen Abscheu vor allen substantiellen Ausdrücken: das Daseyn ist für ihn schon ein allzu ausgesprochenes Wort. Seyn , Princip , Wesen — diese Wörter sind kaum ätherisch genug, um die zarteren Abstufungen seiner Meinungen auszudrücken. Man möchte sagen, er fürchte die Berührung reeller Dinge, und suche sich ihnen immer zu entwinden. Durch häufige Lectüre seiner Schriften und durch die Unterhaltung mit ihm verliert man das Bewußtseyn dieser Welt, und man fühlt das Bedürfniß, wie die Schatten, welche Homer uns mahlt, die Erinnerungen des Lebens zurück zu rufen. Der Materialismus verschluckt die Seele, indem er sie herabsetzt; der Fichtesche Idealismus trennt sie von der Natur dadurch, daß er sie allzu hoch erhebt. Weder in dem einen, noch in dem anderen Extrem behauptet das Gefühl, welches die wahrhaftige Schönheit des Daseyns ist, den Rang, den es verdient.
    Schelling hat bei weitem mehr Kenntniß der Natur und der schönen Künste, als Fichte, und seine lebendige Einbildungskraft düfte sich nicht mit abstrakten Ideen begnügen. Aber, wie Fichte, hat er es darauf angelegt, das Daseyn auf Ein Princip zurückzuführen. Mit tiefem Abscheu behandelt er alle Philosophen, die deren zwei gestalten; und er will nur demjenigen System die Benennung eines philosophischen zukommen lassen, worin sich Alles verkettet, und welches alles erklärt. Unstreitig hat er darin Recht, daß dieses System das beste seyn würde. Aber wo findet man es? Schelling behauptet, nichts sey absurder, als der hergebrachte Ausdruck: Philosophie des Platon, Philosophie des Aristoteles. Sage man denn, Geometrie des Euler, Geomerie des La Grange? Nach Schelling giebt es nur Eine Philosophie, oder es giebt gar keine. Und wahrlich, wenn man unter Philosophie nur den Schlüssel zum Räthsel des Universums versteht, so giebt es gar keine.
    Einbildungskraft Kants System war für Schelling, wie für Fichte, unzureichend, weil er zwei Naturen, zwei Quellen unserer Ideen anerkennt, nemlich die äusseren Gegenstände und die Fähigkeiten der Seele. Aber, um zu der so sehr gewünschten Einheit zu gelangen — um sich von diesem doppelten (physischen und moralischen) Leben, welches den Anhängern abstrakter Ideen so misfällt, loszumachen, bezieht Schelling alles auf die Natur, während Fichte alles auf die Seele zurückführt. Fichte sieht in der Natur nur den Gegensatz der Seele; sie ist in seinen Augen nur-eine Gränze oder eine Kette, von welcher loszukommen man unablässig arbeiten muß. Schellings System erfreut und beruhigt die Einbildungskraft; gleichwol tritt es nothwendig in das des Spinoza zurück. Doch, anstatt die Seele bis zur Materie herabzuwürdigen, wie dies in unsern Tagen geschehen ist, versucht Schelling, die Materie bis zur Seele zu erheben; und obgleich seine Theorie ganz von der physischen Natur abhängt: so ist sie doch sehr idealistisch im Wesen, und noch weit mehr in

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