Ueber Deutschland
Cultus. Diese edeln Empfindungen geben der Seele mehr Kraft und Energie: aber der Gedanke fliegt vielleicht noch höher, wenn er keine Schranken, nicht einmal einen bestimmten Zweck hat, und in der unaufhörlichen Beziehung zum Ungeheuern und Unendlichen kein Interesse ihn zu weltlichen Gegenständen zurückzieht.
Ueberall, wenn eine Idee fest wird, das heißt sich in ein Gesetz verwandelt, ist nichts besser, als aufmerksam die Resultate und Folgen derselben zu prüfen, sie zu umgränzen und zu fixiren; kommt es aber auf eine Theorie an, so muß man sie in sich selbst betrachten. Dabei muß weder von der Praxis, noch vom Nutzen die Frage, und die Untersuchung der Wahrheit in der Philosophie, wie die Einbildungskraft in der Poesie, von jeder Fessel frei seyn.
Die Deutschen bilden gleichsam den Vortrab der Armee des menschlichen Geistes, sie schlagen neue Wege ein, versuchen ungekannte Mittel; wie sollte man nicht begierig seyn zu erfahren, was sie bei ihrer Rückkehr von den Reisen in das Unendliche zu erzählen haben? Die Englander, mit so viel Originalität des Charakters, haben dessenungeachtet in der Regel eine Scheu vor neuen Systemen. Das Maaß in der Vernunft hat ihnen in den Geschäften des Lebens stets so vielen Vortheil gebracht, daß sie es gern in intellectuellen Studien wiederfinden mögen, und doch sind es gerade diese, wo Kühnheit vom Genie nicht zu trennen ist. Das Genie, wenn es nur die Religion und die Moral ehrt, muß so weit gehn können, als es mag, denn es vergrößert das Reich des Gedankens.
Die Literatur in Deutschland trägt so das Gepräge der herrschenden Philosophie, daß die Entfernung von der einen leicht auf das Urtheil über die andere Einfluß haben könnte; doch übersetzen die Engländer seit einiger Zeit mit Vergnügen deutsche Dichter, und mißkennen nicht mehr die Analogie, welche Folge eines gemeinsamen Ursprungs seyn muß. In der englischen Poesie sticht die Empfindung, wie in der Deutschen die Einbildungskraft, mehr hervor. Bei der Herrschaft, welche häusliche Neigungen über das Herz der Engländer ausüben, trägt ihre Poesie das Gepräge der Zartheit und Stetigkeit dieser Neigungen; die Deutschen, unabhängiger in Allem, weil sie minder frei sind, malen Gefühle wie Ideen hinter Wolken: man könnte sagen, das Universum schwanke vor ihren Augen, und die Ungewißheit ihrer Blicke vervielfache die Gegenstände, die ihrem Talent zu Gebote stehn.
Das Princip des Grausenhaften, ein großes Mittel der deutschen Poesie, hat weniger Macht über die Einbildungskraft der heutigen Engländer; sie schildern die Natur von ihrer reizenden Seite, sie wirkt nicht auf sie ein wie eine furchtbare Macht, die in ihrem Schooß Gespenster und Vorbedeutungen verschleußt, und bei den Neuern die Stelle des Fatums der Alten vertritt. Die Einbildungskraft ist bei den Engländern fast immer von der Empfindung angeregt; die Einbildungskraft der Deutschen oft rauh und bisarr: die Religion in England ist strenger, in Deutschland unbestimmter, und die Poesie der Nationen trägt nothwendigerweise immer das Gepräge ihrer religiösen Empfindungen. Gesetze der Schicklichkeit in den Künsten, herrschen in England zwar nicht wie in Frankreich, aber die öffentliche Meinung hat doch mehr Gewicht, als in Deutschland, was in der National-Einheit begründet ist. Die Engländer haben das Bestreben, in allen Dingen ihre Handlungen und Grundsätze in Uebereinstimmung zu bringen, sie sind ein vernünftiges, wohlgeregeltes Volk, das in der Weisheit den Ruhm, in der Ordnung die Freiheit begreift. Die Deutschen, die von dem einen wie dem andern nur den Traum kennen, haben die Ideen, unabhängig von ihrer Anwendung, geprüft, und sind also natürlich höher in der Theorie gestiegen.
Die heutigen deutschen Literatoren sind (was sonderbar erscheint) viel größere Gegner der Einmischung philosophischer Reflexionen in die Poesie, als die Engländer. Die vorzüglichsten englischen Dichter, Shakespeare, Milton, Dryden in seinen Oden u. s. w. überlassen sich freilich nicht dem Geist des Raisonnements, aber Pope und mehrere andere sind als didaktische Dichter und Moralisten zu betrachten. Die Deutschen haben sich wieder jung gemacht, die Engländer sind reif geworden. [Die heutigen englischen Dichter haben, ohne mit den Deutschen deshalb übereingekommen zu seyn, das nämliche System angenommen. Die didactische Poesie macht den Dichtungen des Mittelalters, den Purpurfarben des Orients Platz; Raisonnement, und selbst
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