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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die Deutschen; sie urtheilen ohne gehörige Kenntniß, oder untersuchen, nachdem sie schon eine Parthie ergriffen; die Deutschen sind unpartheiischer. Bei ausgebreiteten Kenntnissen läßt man so viel verschiedne Arten, die Dinge zu sehn, an sich vorübergehn, daß der Geist dadurch die Duldung gewinnt, die eine Frucht der Universalität ist.
    Die Franzosen würden indeß mehr dabei gewinnen, wenn sie das Genie der Deutschen begreifen lernten, als die Deutschen bei der Unterwerfung unter den französischen guten Geschmack. Alle neuern Versuche, die französische Regelmäßigkeit mit etwas fremder Würze zu versetzen, sind mit rauschendem Beifall aufgenommen worden. J. J. Rousseau, Bernardin de Saint Pierre, Chateaubriand, sind in einigen ihrer Werke, selbst ohne es zu wissen, aus der deutschen Schule, das heißt, schöpfen ihr Talent nur aus der Tiefe ihrer Seele. Wollte man dagegen die deutschen Schriftsteller nach den Verbots-Gesetzen der französischen Literatur regeln, so würden sie nicht wissen, wie durch alle diese Klippen zu steuern sey, sich nach dem offenen Meere zurücksehnen, und ihren Geist eher verwirrt als belehrt finden. Es folgt hieraus nicht, daß sie alles wagen sollen, und zuweilen nicht wohl thäten, sich Gränzen zu setzen, aber es kommt hier darauf an, daß man ihnen nach ihren eignen Ansichten den Platz anweise. Man muß, um sie dahin zu bringen, gewisse Beschränkungen anzunehmen, auf den Grund dieser Beschränkungen zurückgehen, ohne sich jedoch der Autorität des Lächerlichen zu bedienen, gegen welche sie durchaus rebellisch sind.
    Geniale Menschen aller Länder sind geeignet, sich zu verstehen und zu schätzen, aber der große Haufen der deutschen und französischen Schriftsteller und Leser erinnert an Lafontaines Fabel von dem Storch, der nicht aus der Schüssel, und dem Fuchs, der nicht aus der Flasche essen kann. Der vollkommenste Widerspruch zeigt sich zwischen den Geistern, die die Einsamkeit entwickelt, und denen, welche die Gesellschaft bildet. Eindrücke der Außenwelt und Sammlung des Gemüths, Menschenkenntniß und Studium abstracter Ideen, Praxis und Theorie, geben ganz entgegengesetzte Resultate. Literatur, Künste, Philosophie und Religion der beiden Völker sind Beweise dieser Verschiedenheit; und der Rhein, als ewige Gränze, scheidet zwei geistige Regionen, die nicht minder, als die beiden Länder, eine der andern fremd sind.
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Zweites Capitel. Wie man in England über deutsche Literatur urtheilt.
    Die deutsche Literatur ist in England viel besser gekannt als in Frankreich. Man lernt dort mehr fremde Sprachen, und die Deutschen stehen in vielfacherer natürlicher Beziehung zu den Engländern als zu den Franzosen; doch herrschen selbst in England Vorurtheile gegen deutsche Philosophie und Literatur. Es kann interessant seyn, den Grund hievon aufzusuchen.
    Geschmack an der Geselligkeit, Vergnügen und Theilnahme an der Unterhaltung sind es nicht, was in England die Geister bildet. Die Geschäfte, das Parlament, die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, füllen alle Köpfe, und die politischen Interessen sind dort die Hauptgegenstände des Nachdenkens. Die Engländer begehren bei Allem unmittelbar anzuwendende Resultate, und daher entsteht es, daß sie gegen eine Philosophie eingenommen sind, die mehr das Schöne als das Nützliche zum Gegenstande hat.
    Es ist wahr, daß die Engländer die Würde nicht vom Nützlichen trennen, und immer, wenn es darauf ankommt, bereit sind, das Nützliche dem Ehrenvollen aufzuopfern; aber sie geben sich nicht gern den Unterhaltungen mit der Luft hin, wie sie Hamlet nennt, von denen die Deutschen große Freunde sind. Die Richtung der Philosophie der Engländer geht auf Resultate zum Wohl der Menschheit; die Deutschen beschäftigen sich mit der Wahrheit um ihrer selbst willen, ohne an den Vortheil zu denken, den die Menschen daraus ziehen können. Da die Natur ihrer Regierungen ihnen keine große und schöne Veranlassungen darbietet, Ruhm zu erwerben und dem Vaterlande zu dienen, so halten sie sich in jeglicher Art an die Contemplation, und suchen im Himmel die Bahn, die ihr eingeschränktes Loos auf Erden ihnen versagt. Sie gefallen sich im Ideale, weil nichts in ihrer Gegenwart liegt, was ihre Einbildungskraft anspricht. Die Engländer rühmen sich mit Recht alles dessen, was sie besitzen, alles dessen was sie sind, sie schenken ihre Bewunderung und ihre Liebe nur ihren Gesetzen, ihren Sitten und ihrem

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