Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
Vom Netzwerk:
originellen Namen seines Betriebs.
    Er nahm das Kompliment freundlich entgegen, aber dann behagte es ihm doch nicht, dass ich mit seinem nagelneuen Lastwagen umherfahren würde.
    Bei Karin vom Zeitarbeitsbüro traute ich mich nach ihrem letzten Wutausbruch nicht mehr vorbei. Ich gebe ja zu, dass es etwas übertrieben von mir war, dort dreimal am Tag aufzukreuzen und mich zwischendurch manchmal auch noch telefonisch zu melden. Das war schon eher Stalking. Nach diesem Vorfall haben sie in der Zentrale das System der »Personal Coaches« wieder abgeschafft. Leute wie mich von nur einem einzigen Coach betreuen zu lassen schien unverantwortlich zu sein. Ich war hartnäckig und hoffnungslos. In gewissen Situationen eine explosive Mischung. Obwohl ich mich selbst immer noch für recht höflich hielt. Aber ich befürchte, es war genau diese Beherrschtheit, die Karin beunruhigte. Wochenlang hörte ich nichts mehr von ihr, bis kurz vor dem Opferfest.
    »Rachid, ich habe hier etwas für dich. Bist du praktizierender Muslim?«
    »Ähm.«
    Lügen ist nicht gut, aber hier handelte es sich um einen Notfall, und ich hatte schon immer einen unerschütterlichen Glauben an Gottes Versöhnungsbereitschaft – ganz besonders dann, wenn es um ein höheres Ziel geht. Trotzdem hörte ich im Hintergrund leise eine Alarmglocke läuten. Hier war etwas nicht ganz koscher, es war offensichtlich eine Fangfrage. Dennoch schrieb ich meine Bedenken in den Wind.
    »Was für eine seltsame Frage, Karin! Würde ich mich denn als Muslim bezeichnen, wenn ich nicht praktizierend wäre? Du machst hoffentlich nur Witze.«
    Ich war stolz auf die leichte Empörung in meiner Stimme. Gerade ausreichend, um ihr zu zeigen, dass ich ihr verzieh.
    »Wunderbar! Die Stadt braucht dringend noch ein paar muslimische Schlachter für das anstehende Opferfest.«
    »Ich? Schlachten?«
    Allein der Gedanke daran verursachte mir Übelkeit. Ich konnte keine Tiere töten.
    »Du musst dich jetzt gleich entscheiden, dann kann ich den Vertrag auf der Stelle für dich ausfertigen. Dir wird übrigens auch eine kurze Ausbildung bezahlt.«
    Noch nicht einmal eine Fliege konnte ich totschlagen, und erst recht kein Tier schlachten, das genauso groß war wie mein zwölfjähriger Nachbarsjunge.
    Ein Tier, das man anschauen konnte, ein Tier, das man liebhaben oder gar bemitleiden konnte. Ich hatte Schafe immer bemitleidet, besonders während der Feste, es half auch nicht, dass meine Mutter immer wieder erzählte, sie würden direkt in den Himmel kommen. Das konnte ich nun wirklich nicht.
    Mir war zwar klar, dass ich es mir aus dem Kopf schlagen konnte, irgendwann noch einmal für den größten Arbeitgeber zu arbeiten, wenn ich jetzt ablehnte. Einen besseren Arbeitgeber als die Stadt gab es nicht. Das hier war meine Chance, zu zeigen, was in mir steckte. Dass ich ein Mann war, auf den in der größten Not Verlass war.
    Der Mann, der die unmöglichsten Aufträge in den unmöglichsten Momenten ausführen würde.
    Flexibel, erinnern Sie sich noch?
    Es war nur schade, dass sich nichts anderes ergab, als Schafen die Gurgel durchzuschneiden.
    Ich hätte nicht lügen dürfen. Es war unverantwortlich. Jenseits des Hier und Jetzt existierte noch der Tag des Jüngsten Gerichts. Sobald die Posaune das erste Mal erklingt, würde ich mich vor dem Allmächtigen verantworten müssen. Ich bin nicht stolz darauf, also erzähle ich es nicht weiter, aber ich rollte meinen Gebetsteppich nur dann aus, wenn ich mich in einer Gruppe von zehn Betenden befand, unter ihnen mein Vater. Das kam zum Glück nur selten vor, wie zum Beispiel am Ende des Ramadans und während großer Familienfeierlichkeiten. Für Heuchler gab es im Jenseits eine besonders schreckliche Abteilung. Ich hatte mir die entsprechenden Texte genau durchgelesen, doch bei solchen Zusammenkünften siegte mein Schamgefühl über die Angst, also machte ich lieber scheinheilig mit. Immerhin ging es auch um die Ehre meines Vaters. Was würden die Leute sonst von ihm denken?
    Und da hatte ich einen genialen Einfall.
    »Karin, natürlich kann ich dir bei dem Opferfest behilflich sein, aber ich wäre lieber im Informationsbereich tätig. Du weißt schon, ich laufe dann mit so einer Jacke in einer grellen Farbe herum und weise allen den Weg, nach dem Motto: ›Schafe diese Richtung, Nicht-Schafe andere Richtung.‹«
    Ich musste über meinen Witz kichern. Auf der anderen Seite des Telefons blieb es still.
    »Solche Leute haben wir bereits genug, was wir

Weitere Kostenlose Bücher