Ueber die Liebe und den Hass
brauchen, sind Schlachter, Rachid, muslimische Schlachter.«
Karin klang allmählich gereizt. Das war kein gutes Zeichen. Die Zeit lief ab, ich musste schleunigst einen Entschluss fassen, der vielleicht den Rest meines Lebens bestimmte, der aus mir vielleicht einen anderen Menschen machte.
Basta! Ich würde es tun. Mein Vater sagte immer: Ein echter Kerl bringt Fleisch auf den Tisch. Und damit meinte er bestimmt nicht die fahlen Lappen, die man in Cellophan verpackt beim Metzger um die Ecke kaufen konnte. Nein, er meinte damit, dass man als echter Kerl Verantwortung übernehmen musste.
Wer Fleisch isst, der muss sich darüber im Klaren sein, was es heißt, Fleisch zu essen.
Das bedeutet auch zu schlachten. Leben nehmen, um selbst leben zu können.
Es war nicht so schlimm wie etwa die Erfahrung, beinahe gestorben zu sein, oder das Gefängnis, doch jetzt hatte ich endlich einen seriösen Grund zu beten. Zwei Fliegen mit einer Klatsche, was sage ich da, ein ganzer Schwarm mit einer Klatsche. Ich hatte das Gefühl zu schweben, jetzt, wo der richtige Weg so hell erstrahlte. Das war der Weg.
»Karin, ich bin in zwanzig Minuten bei dir, du kannst den Vertrag schon mal aufsetzen!«
»Das ist das Schlachtmesser. Du Tier Richtung Mekka stellen. Dann sagen: Bismillahirrahmanirrahim, und mit einer Bewegung ausholen. Kräftig.«
Der Blitzkurs »Wie werde ich muslimischer Schlachter« brachte mich sofort zurück in die Realität.
Es war bizarr. Schon beim Anblick des riesigen Messers brach mir überall der Schweiß aus. Das konnte ich nicht. Ich, der sanftmütige, zarte, kleine Rachid mit der großen Klappe, konnte das nicht tun. Die anderen Kursteilnehmer lauschten aufmerksam den Erläuterungen des Schlachtmeisters. Vor allem die Schlachtbank zog viel Aufmerksamkeit auf sich.
Ich kämpfte gegen die Übelkeit an. Ein süßlich fader Geruch hing in dem vorläufig noch tierlosen Schlachthaus.
Wie war ich nur in diese Sache hineingeraten? Und vor allem, wie kam ich hier wieder heraus? Eine Frage von Tausenden.
Mein Vertrag war bereits unterzeichnet. Kein Weg zurück.
Plötzlich stand der routinierte Meisterschlachter vor mir.
»Du mal geschlachtet?«
Die Frage kam vollkommen überraschend. Ich dachte noch: Die Wahrheit, Rachid, nichts als die Wahrheit!
»Ja, klar.«
Manchmal frage ich mich, an welcher Stelle die Wahrheit und mein Leben beschlossen haben, verschiedene Wege einzuschlagen. Was ist denn gegen die Wahrheit einzuwenden? Andauernd hatte ich das Gefühl, mich immer wieder verteidigen zu müssen. Und wenn ich das mit einer gewissen Nachhaltigkeit tun wollte, reichte die simple Wahrheit einfach nicht aus. Da gehörte mehr dazu. Doch jetzt, wo ich hier vor dem selbstbewussten Meister der tierischen Tötungskunde stand, hätte ich einfach antworten können, dass ich noch nie ein Tier getötet hatte. Deswegen würde ich bestimmt nicht gleich im Gefängnis landen.
Doch nun hatte ich den Mann am Hals.
»Was?«, fragte er.
»Wie was?«
»Großes oder kleines Tier?«, drängte er. »Huhn, Kaninchen, Schaf oder noch größer?«
Bei Letzterem sah ich, wie er ein sarkastisches Lächeln unterdrückte und dabei einen spitzbübischen Blick zu den anderen Schülern warf. Er hat mich durchschaut, dachte ich. Sie hatten mich alle durchschaut. Aber jetzt konnte ich nicht mehr zurück.
»Na ja, ähm … ein Hühnchen.« Ich musste es kleinhalten, um den Schaden zu begrenzen.
»Ein Hühnchen, ja? Okay, hör gut zu.« Er ging ein paar Schritte zurück, bis er mitten im Kreis der Schüler stand. »Hühnchen ist nicht wie Schaf!«
Er rief es so laut, als hätte er uns etwas Revolutionäres beigebracht. Er sah uns alle der Reihe nach an. »Nicht vergessen, ist sehr, sehr wichtig!«
Noch konnte ich ihm folgen. Zur Not hätte ich ihm auch, ohne mit der Wimper zu zucken, ein paar wesentliche Unterschiede zwischen einem Huhn und einem Schaf aufzählen können. Ein Huhn hat einen Schnabel, legt Eier und hat Federn. Ich war bereit.
»Also, wenn du schlachten Huhn, nicht gleiche Technik wie schlachten Schaf. Auch nicht gleiche Messer.«
Ich konnte noch immer folgen, und langsam machte es mir Spaß. Bring mir etwas bei, das ich nicht weiß. Ich grinste, ich hätte alles darauf verwettet, dass ich der Einzige in der Gruppe war, der ein Huhn geschlachtet hatte. So war das bei mir ständig. Ich verkündete Unwahrheiten und fing an, sie zu glauben.
Und dann sah ich ES.
Durch eine Öffnung hindurch konnte ich es in der Ecke eines
Weitere Kostenlose Bücher