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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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zum Beispiel die Abtei von Maredsous im Molignée-Tal. Es war überraschend, dass die Benediktiner dort ein Leben führten, das meinem Motto sehr ähnlich war.
    »Ora et labora.« Beim Beten übertrafen die Mönche mich jedoch. Am liebsten siebenmal am Tag anstatt fünfmal. Ich fasste den Entschluss, ab jetzt mindestens genauso devot zu werden wie sie. Ich erhöhte die Anzahl der Gebete von fünf auf acht während des Tages und drei, anstatt einem, in der Nacht.
    Von dem Moment an, als ich wieder etwas klarer im Kopf war, nahm ich Jamal mit zu den Orten, die ich während meiner Streiftouren entdeckt hatte. Ungefähr zu der Zeit, als wir alle Sehenswürdigkeiten gemeinsam aufgesucht hatten, verfiel ich erneut in mein Delirium und stahl in der Nacht die Autoschlüssel, um in den Süden des Landes zu fahren und mir weitere touristische Highlights anzusehen. Dieser Teil des Landes hatte eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf mich, wahrscheinlich lag es an der leicht hügeligen Landschaft.
    Ich machte Jamal verrückt. Schweren Herzens lieferte er mich wieder ein. Und ich verabscheute es, mit Menschen eingesperrt zu werden, die der festen Überzeugung waren, fliegen zu können oder Jesus Christus zu sein. Doch zum Glück war hier drinnen nicht jeder der Welt komplett entrückt.
    Die meisten waren höchstens ein wenig verwirrt. Einfach zu leben war für sie nun einmal schmerzvoller als für andere. Das Leben war kein Fluss, keine Selbstverständlichkeit.
    Ich war in einen Mann verliebt, der nicht für mich bestimmt war, und er war in mich verliebt, was die Verarbeitung und Ergebung um einiges erschwerte. Wie einige Ansichten von der Zeit unberührt blieben, erzählte ich bereits.
    Ich erzählte Hannelore von einem Vorfall aus meiner Jugend. Ein Vorfall, der sich in meinem Gedächtnis als ein einschneidender Moment der Umkehr eingegraben hatte. Ein bestimmter Moment, der ganz deutlich eine Grenze zwischen früher und heute markierte.
    Ich war damals vielleicht zwölf oder dreizehn, als ich gemeinsam mit meiner Mutter und meiner Schwester eine große Hochzeitsfeier besuchte, eine der ersten, die in einem großen Saal gefeiert wurde, nicht in einem heruntergekommenen Gemeindezentrum, sondern in einem echten Festsaal, mit großen schönen Kronleuchtern und prachtvoll gedeckten Tischen mit Blumenarrangements in der Mitte. Es handelte sich um die Hochzeitsfeier eines Nachbarmädchens. Sie arbeitete bei einem Telemarketingunternehmen, wo sie innerhalb kürzester Zeit in die Führung aufgestiegen war. Und um ihren Erfolg zu demonstrieren, veranstaltete sie eine glamouröse Hochzeitsfeier mit allem Drum und Dran. Doch sie hielt sich präzise an die strikte Regel, dass die Gäste nach Männern und Frauen getrennt wurden. Egal, ob man in die Chefetage aufgestiegen war, man durfte niemals vergessen, woher man kam und wer man war. Sie hatte ihren Vorgesetzten mit Frau eingeladen. Am Eingang des Frauensaals gaben die beiden sich einen Kuss und verabredeten, dass sie sich nach der Feier am Ausgang treffen wollten.
    Die Ehefrau wurde an dem Tisch für die Ehrengäste platziert, ganz vorne im Saal, in der Nähe der Throne für das Hochzeitspaar und mit einer guten Sicht auf die Tanzfläche. Es gab keine Band, nur eine D-Jane. Ich bemerkte, wie die Fotografin im Verlauf des Abends die Kamera auf die Frau richtete und ein paar Fotos von ihr schoss. Damals dachte ich, sie würde die Fotos machen, weil sie die einzige Weiße unter den vielen geladenen Gästen war.
    Als das Fest vorangeschritten war und sich ziemlich viele Frauen auf der Tanzfläche tummelten, sah ich, wie der Chef den Frauensaal betrat. Er trug einen gepflegten Anzug und lächelte. Mit den Augen suchte er den Saal nach seiner Frau ab. Ein paar Frauen hatten ihn bemerkt, und es war, als fiele er nicht weiter auf. Als sei er kein echter Mann. Keiner schien Anstoß an seiner Anwesenheit zu nehmen, auch ich nicht.
    Sein Geschlecht strahlte keine Bedrohung aus, denn es gab die unüberwindbare Barriere der Rasse, der Herkunft und vor allem der Religion. Besonders die Religion trennte uns wie der Grand Canyon. Das gab jedem, den Frauen, besonders aber den Männern, ein sicheres Gefühl.
    Es war, als betrachte man im Zoo die Tiere aus der Wildnis. Dort können Mütter mit ihren kleinen Kindern ruhig spazieren gehen und zwischendurch den Eisbären bewundern, der in der freien Laufbahn wild und gefährlich ist. Der nur ein einziges Mal auszuholen braucht, um mit seinen Pranken einen

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