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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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Xenoallochianern ist alles möglich«, sagte sie schließlich. »Bei denen könntest du problemlos mit Johan zusammen sein.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Es ging mir nicht darum, bei Johan sein zu können, es ging mir darum, mir meinen Platz im al-Âchira zu sichern.
    »Aber wer behauptet denn, Xenoalloch sei nicht al-Âchira ?«
    Darauf fiel mir nicht sogleich eine Antwort ein.
    Am nächsten Tag stand Johan plötzlich vor mir. Die Besuchszeit war fast abgelaufen. Jamal eben erst wieder aufgebrochen. Ich erschrak zu Tode und brachte kein Wort heraus. Er stand einfach da und hielt ein kleines Päckchen in den Händen. Ganz offensichtlich ein Geschenk, das er von seinem Körper wegzuschieben versuchte, das sich aber immer wieder an ihm rieb, wie ein scheues Tier, das dieser merkwürdigen Frau nicht ausgehändigt werden wollte.
    Natürlich sagte er auch nicht viel mehr als ein kaum vernehmbares »Hey«. Ohne nachzudenken, nahm ich ihm das Päckchen aus der Hand. Anfangs verstärkte er erschrocken den Griff, und es sah aus, als würden wir zwei Sekunden lang um das Päckchen kämpfen.
    »Für dich«, lautete sein überflüssiger Kommentar, als er es losließ. »Ich musste kommen. Nawal hat mir erzählt, dass du hier bist.«
    Ich hatte Lust, Nawal umzubringen und ihr gleichzeitig tausendmal die Füße zu küssen.
    Trotz seiner müden Augen sah er traumhaft aus. Ich starrte auf seine Lippen, und ohne nachzudenken, küsste ich ihn.
    Er hielt mich an den Schultern fest und zog mich stärker an sich.
    Falsch, falsch, falsch, summte es leise in meinem Kopf, als ich ihn sanft in die Unterlippe biss. Ich schob ihn mit falscher Empörung von mir, bevor er eine Gelegenheit hatte, mein unziemliches Verhalten zu erwidern.
    »Wieso tust du das?«, fragte ich keuchend. Wie verwerflich ich doch sein konnte.
    Es hätte mich nicht verwundert, wenn er mich hochgehoben und aus der Anstalt hinausgetragen hätte. Mein Retter, mein Held.
    Vor langer Zeit hatte ich Johan erklärt, warum wir nichts, warum wir niemals etwas miteinander haben könnten. Ich hatte ihm alle relevanten Stellen im Koran mit gelbem Textmarker angestrichen, in einer neuen Übersetzung, die ich ihm zum Abschied schenkte.
    »Dort steht alles geschrieben. Mir bleibt keine Wahl«, hatte ich zu ihm gesagt. »Wenn du wenigstens an Jesus glauben würdest, dann hätten wir so etwas wie einen Anknüpfungspunkt.« Meine Stimme hatte vorwurfsvoll geklungen. »Aber ohne irgendeinen Glauben einfach so zum Glauben an Allah und seinen Propheten überzugehen, das kann ich mir bei dir nicht vorstellen, nicht einmal, wenn die Jungfrau Maria dir erschiene, mit einem Schild in der Hand, auf dem steht, der Islam sei der wahre Glaube. Wahrscheinlich würdest du sie nur amüsiert anschauen und ihr einen Vogel zeigen. So einer bist du doch.«
    Daraufhin hatte Johan ein oder zwei Tage später ein paar ayas zitiert, die seiner Meinung nach eine Eröffnung für ein gemeinsames Glück sein konnten. Er hatte den Koran komplett in einem Zug durchgelesen und genau die Passagen notiert, die zutreffen könnten. Er mailte mir triumphierend und nahezu in Ekstase (ich sah das an den Emoticons, mit denen er in der Mail nicht gerade sparsam umgegangen war).
    »Und ich werde nicht Diener dessen sein, dem ihr dient … Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.«
    Für ihn war das der Beweis dafür, dass der Koran andere Glaubensrichtungen und Meinungen tolerierte. Sura Al-Kafirun bedeutete für ihn einen Ansporn zur Freiheit der Glaubensüberzeugung. Für ihn stand darin, dass er seinen Glauben (er behauptete, der Atheismus sei auch ein Glaube, zwar einer ohne Gott, aber dennoch ein Glaube; er war davon überzeugt, dass da noch mehr zwischen Himmel und Erde war) behalten und mich dennoch heiraten konnte. Meinen Glauben würde ich dann selbstverständlich behalten können.
    Tja, das hat man dann davon, wenn ein Nicht-Muslim sich in die Koranlektüre vertieft.
    Kurz darauf habe ich Jamal geheiratet.
    Er ist sehr lieb, und er ist nicht der Mann meiner Träume. Man kann nicht alles im Leben haben.
    Ein Leben nach den Regeln, die einen schließlich ins al-Âchira bringen, und zudem mit dem Richtigen verheiratet zu sein, das scheint, zumindest für mich, unerreichbar zu sein. Irgendwo hapert es immer an den Parametern des Glücks. Häufig sind sie mangelhaft, defekt. So sah ich das. Wegen eines Fehlers war Johan kein Muslim. Und ich war dazu verdammt, eine unglückliche, aber devote Muslima zu

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