Ueber die Verhaeltnisse
den Tisch gestellt hatte, und das war gut so, denn nie zuvor noch war es ihr geschehen, daß ein Gesicht sie dermaßen in Erstaunen versetzte, und ihre Finger wurden für einen Augenblick fühllos.
Der Chef und der junge Mann, die sie beide vom Sehen gut kannte, begrüßten sie freundlich und stellten ihr dann den Gesandten Heyn vor. Sie gab ihm die Hand mit einem Gefühl, als sei sie ihr abgefroren, während sie die verfluchte Röte über ihren Nacken heraufkriechen spürte.
Zum Glück waren der Chef und der junge Mann dermaßen an der zu besprechenden Angelegenheit interessiert, daß sie für Frô weiter keinen Blick hatten, und Heyn schlug im richtigen Moment die Augen nieder, was die Situation einigermaßen rettete.
Als sie dann mit der Suppe kam, war sie bereits gewappnet. Gesenkten Blickes, wie eine höhere Serviertochter, bewegte sie sich sozusagen auf Zehenspitzen, als wolle sie ganz und gar nicht stören, gerade daß sie »Mahlzeit!« hauchte.
Still bedeutete in diesem Fall tatsächlich geheim, denn so nicht vorhanden, wie Frô sich auch stellte, sie konnte nicht einen Satzfetzen, ja nicht einmal ein Wort erhaschen, das sich auf den tatsächlichen Grund dieses Treffens bezogen hätte, obwohl sie deutlich spürte, daß in ihrer Abwesenheit umso mehr geredet wurde.
Erst als sie zuletzt mit dem Kastanienreis und dem Kaffee kam, riskierte sie noch einmal einen Blick in das Gesicht des Gesandten Heyn, aber es war, als hätte der eine zweite Hornhaut über seine Augen gezogen, und die Nilwasser-Abgründe von vorher waren zugedeckt, so daß man nicht mehr in ihnen ersaufen konnte. Es war ein von schwarzen Brauen umbuschtes Gesicht, dessen lange, gekrümmte Nase sich im Dunkel eines starken Bartwuchses verlor, der unter der glattrasierten Haut hervorschattete. Auch das Haar war dicht und schwarz und zerfiel in von Wirbeln verursachte Wellen, denen der Haarschnitt das Ausschwingen versagte. Er reichte ihr seinen Teller, worauf der Chef und der junge Mann dasselbe taten.
»Die Rechnung geht ans Amt«, sagte der Chef, nachdem er die beiden anderen höflichkeitshalber gefragt hatte, ob sie noch was zu trinken wollten, was beide ebenso förmlich verneinten. Es war klar, daß dem Chef der Hintern brannte unddaß er es eilig hatte, zurück in seine Burg zu kommen. »Grüß die Mama«, sagte er zu Frô, als sie abservierte. Dann schaute er ein letztes Mal auf die Uhr. »Ich muß schleunigst.« Frô deutete den beiden im Schankraum ihr Bier rascher schluckenden Beamten, die sich sofort erhoben und das Lokal ebenfalls durch den Hintereingang verließen.
»Wer war der Dritte?« fragte Mela ihr Kind in der Küche.
»Ein gewisser Heyn.« Frô stellte das Tablett auf die Durchreiche zur Abwasch. »Gesandter oder so.«
»Ach der!« Mela zog den Kopf ein zum Nachdenken, und Frô hatte nicht den Mut, ihre Mutter zu fragen, was sie mit »Ach der!« gemeint hatte. Vielleicht sagte sie das nur so hin, weil sie auch nicht mehr wußte und ihr der Name nur irgendwie bekannt vorkam.
Frô verspürte keinen Appetit, obwohl sie sich von der Köchin, die hin und wieder durch das sogenannte Guckerl nach dem von ihr ins Auge gefaßten Hofrat spähte, etwas auf den Teller laden hatte lassen. Tapfer kaute und schluckte sie und versuchte, sich dabei jeden Moment ihrer Anwesenheit bei dem spartanisch kurzen sogenannten Arbeitsessen zu vergegenwärtigen. Und schließlich gelang es ihr, sich einzureden, daß sie sich den ungewöhnlichen Sog im grünen Blick dieses Gesandten Heyn offenbar eingebildet hatte, so wie ihr früher manchmal die Bilder lebendig geworden waren und sie das Gefühl gehabt hatte, hineinsteigen zu müssen.
Die zweite Begegnung mit Heyn verlief außer Haus, auf neutralem Boden, falls es so etwas überhaupt geben konnte. Die erste große Erkältungswelle hatte den Vorlesungsbetrieb ausgedünnt, und Frô ging, anstatt in einem Seminar über Grabungstechnik zu sitzen, durch die Innenstadt. Die Kälte fraßsich durch ihre ledernen Stiefelsohlen unter den Rock hoch, und das war wohl eher der Grund als die tatsächliche Lust, diesen Film zu sehen, daß sie ins Foyer des Kinos trat, das mit Plakaten und Fotos dafür warb.
Vor der Kassa hatte sich eine kleine Schlange gebildet, und sie überlegte, ob sie nicht erst einmal einen Kaffee trinken sollte, um den Entschluß hinauszuzögern. An der Theke lehnend, mit der kleinen Tasse in der Hand, blickte sie durch die Glaswand auf die dämmernde Straße hinaus, auf der Menschen,
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