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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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wichtigeren Sache wegen auf einiges verzichten muß.« Im Augenblick glaubt Mela selber an diese Version. »Aber so, wie die Dinge jetzt liegen, sollst du es natürlich wissen.«
    »Mela«, stöhnt der Chef und taumelt gegen seinen Schreibtisch, um sich ein wenig anlehnen zu können. »Das gibt es doch gar nicht.«
    So wie der Chef jetzt dreinschaut, möchte sie ihn gern fotografiert haben, nur so, zur Erinnerung.
    »Ich werd verrückt.« Der Chef wischt sich mit dem joghurtverschmierten Taschentuch die Stirn, die nun mit einem weißen Streifen überzogen ist.
    »Keine Angst«, sagt sie würdevoll und in gewissem Sinn auch erleichtert, »ich werde in der Öffentlichkeit keinen Gebrauch davon machen. Es genügt, daß du es weißt. Und demnächst wird es deine Tochter ebenfalls wissen müssen.« Auch in diesem Augenblick neigt Mela noch zur Großmütigkeit. Nur das mit dem verschmierten Joghurt auf seiner Stirn wird sie ihm nicht sagen, diesen Anblick gönnt sie sich als kleine Entschädigung für all die Jämmerlichkeit.
    »Melanie«, stöhnt plötzlich der Chef und versucht, nach ihrer Hand zu greifen. Aber in diesem Augenblick öffnet sich eine verborgene Tür neben dem Schreibtisch. Der Sekretär streckt vorsichtig den Kopf herein, deutet auf seine Uhr und verkündet: »In fünf Minuten beginnt die Pressekonferenz.«
    »Wir sind schon fertig«, sagt Mela in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. Und als der Sekretär auf sie zukommt, um sie hinauszubegleiten, winkt sie überzeugend ab. »Danke, ich finde den Weg schon.«
    Als sie an der letzten Kontrolle vorbei ist, empfängt sie einweißblauer eisiger Tag, ohne die geringste Ahnung von Frühling, obwohl schon Ende Februar ist. Noch immer liegt Schnee, aber nicht einmal in der Sonne schmilzt er. Zu großen Haufen zusammengebacken – wo die Straßenräumer ihn hingeschaufelt haben –, wartet er auf den Abtransport, um außerhalb der Stadt in den Fluß gekippt zu werden.
    Mela geht ein Stück durch den Park, in dem sie vor vielen Jahren an ebensolchen Montagen Frô im Kinderwagen spazierengefahren hat. Krähen picken durch die körnige weiße Decke nach Gräsern und Samen und schauen argwöhnisch nach ihrer schwarzen Handtasche, bis sie unter schaurigem Gekrächze in die Bäume entfliegen. Sie hat ein frisches Taschentuch hervorgeholt, um sich die Kältetränen aus den Augenwinkeln zu tupfen.
    Es ist zu windig, um sich auf eine Bank zu setzen, und so ändert sie die Richtung, überquert den großen Platz mit dem Reiterstandbild und erblickt wieder den mächtigen schmiedeeisernen Adler, zu dem Frô einst aufgeschaut und Pipi gesagt hat. Sie geht durch die breiten steinernen Torbögen, durchquert die inneren Höfe jener älteren Burg. Eine Demonstration von Macht und Herrschertum, Trakt um Trakt, Statuen, Kirchen. Und noch heute muß man sich derer erinnern, die dies alles errichtet haben. Ob sie erfahrener waren im Umgang miteinander, weiser oder vielleicht nur klüger? Mela glaubt nicht daran. Und selbst wenn, es hülfe ihr jetzt auch nicht weiter.
    Sie geht in eine Café-Konditorei, setzt sich in die Ecke und bestellt eine Melange. Sie muß zu einem Entschluß kommen, um nicht zu ersticken. Schon tut es ihr leid, daß sie dem Chef die Tochter zuletzt doch noch nachgeschmissen hat. Wozu? Er wird diesen Heyn nicht zurückberufen, auch jetzt nicht.Beschenkt mit einer großjährigen Tochter, wird er erst recht nicht wissen, was damit anfangen. »Familienangelegenheiten sind Privatsache«, wird er sich sagen und ihr das, nachdem er den ersten Schreck hinter sich hat, auch mit allem Nachdruck klarmachen. Interveniert wird nur für die Freunde, für die Nachbarn in der Sitzordnung, für die Mitstreiter und für die Mitwisser. Dienste dieser männerbündischen Art sind jeden Skandal wert. So tief kann keines von diesen Mannsbildern in den Sumpf fallen, daß sie ihn nicht wieder herausbaggern, ganz wurscht, ob legal oder nicht. Und da hat sie sich nun so viele Jahre ihres Lebens mit diesen Kerlen abgegeben, aus ihrer Schwäche ihre Stärke gezogen, und jetzt? Nicht ein Funken Idee oder Courage! Hätte er nicht sagen können »Ich ruf ihn samt deinem Kind für drei Tage zurück, damit ihr das ausredet«? Wär schließlich auch eine Möglichkeit gewesen. Aber nichts. Nichts als Angst vor Unannehmlichkeiten. Sie hätte es wissen müssen, und wie sie es hätte wissen müssen! »Hosenscheißer«, sagt sie halblaut vor sich hin, so daß eine der braun gekleideten Servierdamen

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