Ueber die Verhaeltnisse
sie erst diese richtigen Worte finden müsse, bevor sie es wagen könne, sie wiederzusehen.
Auch tue es ihr weh, daß ihre Mutter allem Anschein nach ihn, Ayhan, für die Trennung verantwortlich mache, was ihr nur zeige, wie wenig die Mutter sich noch mit dem Gedanken vertraut gemacht habe, daß sie, die Tochter, nicht bloß ihr wiedererstandener Leib, sozusagen ihre andere Möglichkeit, sondern ein Wesen eigener Natur sei.
Daß sie nun endlich wisse, wer ihr Vater sei, halte sie zwar für wichtig, aber doch nicht für wichtig genug, als daß es etwas in ihrem Leben verändern könne, denn sie habe diesen Vater nie als Vater kennengelernt und er werde sich wohl auch nie als solcher ihr gegenüber erweisen. Insofern könne Versäumtes wohl nicht nachgeholt werden, und sie hoffe nur, daß sich auch für ihn, Ayhan, keinerlei Folgen daraus ergäben. Die Liebe zu ihm entschädige sie für jede Art Vater- oder Bruderliebe, und wenn sie sich auch in ihrem früheren Leben manchmal nach so einer Liebe gesehnt habe, so bedeute sie ihr jetzt eigentlich nichts mehr.
»Was machst du mit dem Geschäft?« fragt Borisch.
»Einmotten«, grollt es tief aus Melas Sonnengeflecht. Seit das Schild an der Tür hängt »Vom 3. März an bis auf weiteres wegen Urlaub geschlossen«, nimmt die Schimpferei im SPANFERKEL kein Ende. Wie sie ihnen das antun könne, fragen die Stammgäste, und überhaupt, diese Unbestimmtheit sei geradezu aufreizend. Ob sie denn wolle, daß man sie auf Knien bitte. Sie sei doch bisher nie so verantwortungslos gewesen, einfach zuzusperren. Den wöchentlichen Montag habe man ihr ja hingehen lassen, aber eine unbestimmte Zeit sei gewissermaßenunzumutbar. Und als Mela das Gejammer nicht gebührend würdigt, werden Drohungen daraus. Sie werde schon sehen, wohin sie damit komme. Wenn man schon einmal die Unannehmlichkeiten eines Wirtshauswechsels auf sich nehme, könne das leicht zu einer endgültigen Veränderung führen. Das SPANFERKEL sei schließlich nicht das einzige Wirtshaus in der Stadt, wenn auch das mit den treuesten Gästen und der überzeugendsten Lage.
Als aber auch das nichts hilft, wird die Taktik geändert, und sie kann sich kaum erwehren vor all den Fragen, ob es stimme, daß sie sich einer Operation unterziehen müsse? Oder daß sie mit einer hochgestellten Persönlichkeit nach Afrika auf Safari reisen würde? Oder doch auf die Malediven? Gut täte ihr das schon, keine Frage, so schlecht, wie sie seit einiger Zeit aussehe, und man gönne ihr ja die Erholung, aber deswegen zusperren und das gleich auf unbestimmte Zeit!? Sie könne ja das Personal weitermachen lassen, und damit das Ganze nicht verkomme, solle die Tochter einspringen, die sei schließlich alt genug. Und selbst wenn sie kein Ersatz für die Mutter wäre, sei es immerhin besser als gar nichts.
»Es ist ihnen nicht einmal aufgefallen, diesen Stuhlwärmern, daß das Kind schon lange fort ist.«
»Weißt du«, sagt Borisch, »du bist verrückt. Aber gerade deshalb kann man dich nicht allein fahren lassen. Ich komme mit.«
Mela lächelt mit dunklen Ringen unter den Augen. »Und Edvard?«
»Zuerst wird er ein furchtbares Geschrei machen, und dann wird er sich an den Gedanken gewöhnen. Wie der Vater deines Kindes.« Borisch hat es also doch noch erlebt, dieses Rätsels Lösung zu hören von einer an Gott und der Welt verzweifelndenMela. Noch weidet sich Borisch an dieser Preisgabe. Der Chef also. »Darunter hättest du’s wohl nicht getan?«
»Red nicht so blöd.« Mela wischt die ganze Vaterschaftssache mit einer einzigen Bewegung vom Tisch. »Damals hat doch kein Mensch wissen können, wie er endet.«
Natürlich hat der Chef gestrampft, als er hörte, was sie vorhat. Er redete von Eigenmächtigkeit und einem Dickschädel, der seinesgleichen zu suchen habe. Aber wenn sie unbedingt meine, hatte er schließlich beigegeben, er könne sie nicht daran hindern. Sie habe einen Paß und sei im Vollbesitz der bürgerlichen Rechte. Und als sie sich als unbeeindruckbar und unabbringbar erwies, versprach er, soweit es in seiner Macht stehe, die dort wirkenden österreichischen Beamten anzuweisen, ihr behilflich zu sein und für ihren Schutz zu sorgen, falls ihr Schwiegersohn sich gerade außer Landes befinde. Bei der Nennung dieses Namens hatte sie das Gespräch beendet und einfach aufgehängt. Sie würde schon ans Ziel kommen, ob mit oder ohne verlängerten Arm. Und auf ihren Schwiegersohn, wie der Chef sich ausdrückte, war sie ohnehin nur
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