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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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sie indigniert mustert. Wild entschlossen zwinkert Mela ihr zu, so daß die sogleich den Kopf einzieht und fauchend ausatmet. Mela weiß jetzt, was sie zu tun hat. Sie schwenkt den letzten Schluck Kaffee mehrmals in ihrer Tasse, bevor sie ihn sich in den Rachen gießt. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig. Sie wird ihr Kind selber suchen müssen.

    Wenn sie in ihrem früheren Leben je, sagte Frô später zu Ayhan, jemanden geliebt habe, dann sei das gewiß ihre Mutter gewesen. Es sei ihr daher besonders schmerzlich, daß diese Trennung habe sein müssen, vor allem in dieser Schärfe und Heimlichkeit. Er habe das ja damals selbst kaum verstehenkönnen, aber sie sei dazu gezwungen gewesen, da sie es nur auf diese im Grunde feige Art fertiggebracht habe, zu gehen.
    Nicht daß sie und ihre Mutter ein besonders enges Verhältnis zueinander gehabt hätten, im Gegenteil, ihre Mutter sei eine sehr selbständige Frau, die großen Wert auf ihren persönlichen Spielraum lege und die davon überzeugt sei, daß ihr ein bestimmtes Maß an Lebensgenuß zustehe. »Wer schwer arbeitet, muß sich auch leicht freuen können«, habe sie immer behauptet und bei Gott nichts ausgelassen von den kleinen und größeren Freuden, die ihr erreichbar waren. Sie selbst habe als Kind zeitweise darunter gelitten, immer wieder Männer an der Seite ihrer Mutter zu sehen, von denen sie wußte, daß sie auch in deren Schlafzimmer durften. Dennoch meine sie, wenn sie es rückblickend betrachte, daß ihre Mutter sich in ihrer undramatischen Ehrlichkeit schon richtig verhalten habe, denn unter irgendwas leide ein Kind schließlich immer. So habe sie wenigstens keine schockierenden Entdeckungen machen müssen, sie habe von jeher alles gewußt. Ihre Mutter habe ihr nie etwas vorgemacht, woran sie nicht selber glaubte, aber vielleicht seien ihre, Frôs, Sinne deshalb so lange wie von einer Schutzhaut verschlossen gewesen, weil sie zwar einerseits das Wissen gehabt, es ihr andererseits aber an Erfahrung gefehlt habe. Und heute glaube sie, daß sie sich lange gegen bestimmte Erfahrungen gewehrt habe, um sie nicht mit ihrer Mutter teilen zu müssen. Das sei die einzige Möglichkeit eines Rückbehalts ihrer eigenen Person gewesen, habe sie doch manchmal das unbestimmte Gefühl gehabt, ihre Mutter empfinde sie als eine Art Ausweitung ihres eigenen Lebens. So als sei nicht nur sie aus ihrem Schoß herausgekrochen, sondern als würde ihre Mutter auch gelegentlich in sie hineinkriechen. Ein merkwürdiges Bild, da habe er recht, aber in ihrem Kopfhabe sich vieles Merkwürdige abgespielt, und sie glaube heute mit Sicherheit sagen zu können, daß ihre ersten Fluchtversuche jene waren, bei denen sie der Wunsch überkam, in ein tatsächliches gemaltes Bild hineinsteigen zu können.
    Wenn sie sage, sie habe ihre Mutter geliebt, dann sei das – verglichen mit dem, was sie nun für ihn, aber auch ihre Mutter empfinde – eher so zu verstehen, daß sie außer ihrer Mutter niemanden gehabt habe, der auch nur eine annähernd große Rolle in ihrem Leben spielte. Ihre Mutter sei wie ein Kosmos gewesen, als dessen Bestandteil sie sich fühlte und der sie seinerseits zu durchdringen versuchte, ohne daß das an irgendwelchen äußeren Dingen festzustellen gewesen sei, im Gegenteil, ihre Mutter habe auch auf ihrer Selbständigkeit und ihrem Spielraum bestanden. Sie aber habe früher nie den Wunsch verspürt, sich gegen ihre Mutter aufzulehnen, sie habe höchstens ihre eigene Person abgeschirmt gegen jene ihrer Mutter selbstverständlichen Zugriffe.
    Und so seien sie und ihre Mutter sich trotz der naturgegebenen Ähnlichkeiten doch in vielem fremd geblieben. Aber natürlich sei ihr klar, daß sie sich nun nicht ein Leben lang vor ihrer Mutter versteckt halten könne, das würde sie auch gar nicht ertragen. Denn trotz aller Befürchtungen und Bedenken, daß ein Wiedersehen erst zu jener fürchterlichen Auseinandersetzung führen würde, vor der sie sich immer gescheut habe, das heißt, sie, Frô, habe dieselbe nie zugelassen, sehne sie sich nach ihrer Mutter. Der Gedanke an ein Wiedersehen mache ihr aber auch großes Herzklopfen, denn sie habe noch immer keine Ahnung, mit welchen Worten sie ihrer Mutter das alles erklären solle, um die Kränkung von ihr zu nehmen, mit der sie nun gewiß seit ihrer Flucht lebe und die sich möglicherweise tiefer und tiefer in ihr Herz senken werde, je längersie währe. Doch sosehr sie dieser Gedanke auch bedrücke, sie sei überzeugt davon, daß

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