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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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als er ihrer ansichtig wird. Dabei reißt er mit dem abstehenden Westenknopf noch den langen Löffel aus dem Joghurt. »Du liebe Zeit.« Zum Glück hat der weiße Patzen nur die Tischfläche und keinen Akt bespritzt. Und beide wischen sie mit ihren Taschentüchern, bis das Malheur beseitigt ist.
    »Ich habe mir gedacht, daß es darum geht«, sagt der Chef, als sie endlich sitzen.
    »Und wer weiß, was er sonst noch mit ihr gemacht hat. Kein Mensch kann mir einreden, daß mein Kind einem wildfremden Mann so mir nichts dir nichts gefolgt ist.«
    »Sie haben mehrere Wochen Zeit gehabt. Manchmal geht so was schnell!«
    »Aber nicht so schnell, das siehst du wohl ein.«
    »Ich habe Erkundigungen einziehen lassen. Die Sache ist meines Wissens legal!«
    »Legal nennst du das? Da schnappt sich einer meine Tochter und zerrt sie in den Nahen Osten. Setzt sie allen möglichen Gefahren aus, und wenn er ihrer überdrüssig ist, verkauft er sie womöglich noch an einen Ölscheich.«
    Der Chef schwitzt und rührt mit dem Löffel in dem Rest von Joghurt, als würde er durch Rühren schmackhafter.
    »Schau«, sagt er mit jenem heuchlerischen Schlichterton, »das Mädchen ist über zwanzig, glaubst du nicht, daß sie es sich gut überlegt hat? Und was diesen Heyn betrifft, das ist ein guter Mann. Außerdem hat er Diplomatenstatus. Also so schlecht fährt deine Kleine gar nicht mit ihm. Wenn er sich weiter so bewährt, wird er demnächst Botschafter.«
    Mela schüttelt verbissen den Kopf. »Was immer aus dem Kerl wird, er hat meine Tochter entführt, und das laß ich mir nicht gefallen. Hörst du? Ich will mein Kind zurück. Das kann er mit mir nicht machen, so ohne ein Wort …«
    »Mein liebes Melerl, ich verstehe deinen Kummer. Aber glaube mir, sie ist bestimmt freiwillig mitgegangen. Warum sie zu dir nichts gesagt hat, bleibt nach wie vor ein Rätsel. Aber die jungen Leute haben manchmal so komische Ideen. Wart es ab. Wenn sie das erste Mal auf Heimaturlaub kommen, wird sich alles einrenken.«
    »Ich denk nicht daran«, sagt Mela auffallend leise, und dann schaut sie ihn mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen scharf an, so scharf, daß er ihrem Blick unwillkürlich ausweicht.
    »Ich bitte dich in aller Form darum, den Kerl zurückzupfeifen. Zumindest reden muß ich mit dem Kind.«
    »Wie stellst du dir das vor?« Der Chef ist sichtlich erschrocken, und in der Verwirrung kippt er sich den Rest des Joghurts in den Rachen. »Ich brauch den Mann da unten. Dieses Land …« – er verkutzt sich –, »dieses Land hat noch immer gewisse Aufgaben. Humanitärer Art, wenn du mich richtig verstehst. Wenn wir international überhaupt noch mitmischen wollen, dann auf diesem Weg. Vergiß nicht, das ist eine krisengeschüttelte Region. Kriege, Terror, Befreiungskämpfe. Datauscht man Gefangene aus, bahnt Verhandlungen an, bringt die richtigen Leute zusammen, die schon längst an einen Tisch gehören. Mehr darf ich dir darüber nicht sagen. Und dieser Heyn ist ein fähiger Mann. Es hängt viel davon ab, ob er seine Sache gut macht!« Einen Augenblick läßt der Chef, ergriffen von den eigenen Worten, seinen Blick ins Leere schweifen. »Auch wenn es einem schwerfällt, manchmal muß man eben die eigenen Wünsche zurückstellen zugunsten einer wichtigeren Sache!«
    Um Melas Mund beginnt es verdächtig zu zucken. »Für mich ist das die wichtigste Sache, und für dich sollte sie es auch sein …«
    Der Chef versteht nicht. Er schaut auf die Uhr, die Audienz ist beendet.
    »Glaub mir«, sagt er jovial, während er sich umständlich aus seinem Stuhl hochrappelt, »ich kann diesen Heyn nicht zurückberufen.«
    Mela sitzt noch immer, sein Zeichen mißachtend. »Sie ist nicht nur meine Tochter …«
    Der Chef kommt auf sie zu, legt den Arm um ihre Schultern und lächelt unbeirrt. »Abgesehen davon, daß ich jetzt wirklich keinen Skandal brauchen kann. Das verstehst du doch hoffentlich.«
    Langsam steht Mela auf, und erst als ihre Gesichter in derselben Höhe einander gegenüber sind, sagt sie beinah tonlos: »Sie ist auch deine Tochter.«
    Der Chef versteht nicht sogleich, hat nur gemerkt, daß irgend etwas Ungeheuerliches gesagt wurde. »Wie bitte?« Gewohnheitsmäßig legt er auch noch die Hand hinters Ohr.
    Mit gespielter Ruhe nimmt Mela ihre Tasche an sich. »Sie ist deine Tochter, du hast schon richtig gehört. Zwanzig Jahrehabe ich dich mit allem verschont, weil man – wie hast du so treffend gesagt? –, weil man in gewissen Fällen einer

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