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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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werden. Wer uns kennt, das sind die Gastarbeiter und ihre zum Teil noch hier lebenden Familien, ein paar Kaufleute, die von uns Sensenblätter importieren, und die wenigen Intellektuellen, die bei uns studiert haben oder studieren wollen und die sich für österreichische Literatur interessieren, vor allem deshalb, weil sie wissen wollen, wie sie der Stipendienkommission antworten sollen, die solche Dinge offenbar wichtig nimmt. Um diese Leute kümmere ich mich. Es reizt mich, mit einem minimalen Budget maximale Aktivität zu entfalten, das heißt eben, uns in Erinnerung zu bringen. Ich betreibe so eine Art Kulturinstitut, was ungeheuer seriös klingt, doch am meisten Spaß macht mir die Konkurrenz mit dem großen Bruder, gerade weil wir in Wirklichkeit nicht konkurrierenkönnen. Das ist einfach eine Frage der Mittel. Ohne entsprechende Mittel heißt es improvisieren! Und wenn wir mit der Gegenwart nicht gerade Staat machen können, bleibt uns noch immer die Vielfalt des kulturellen Erbes, das wie ein Trichter funktioniert. Alles, was in den ehemaligen Reichs- und Kronländern deutsch geschrieben oder sonstwie Kultur getrieben hat, wird aufgefangen, zusammengepreßt und schlägt zugunsten der Zweiten Republik aus. Das sollen uns die Preußen einmal nachmachen. Österreich ist eben nicht so sehr Staat als vielmehr Lebenshaltung, und mit dieser These kriegt man überall den Fuß in die Tür. Sie entläßt einen aus der Verantwortung, aber man kann überall mitnaschen. Sie ist der Joker in diesem Spiel, und so gesehen, sind wir weniger ein Volk von Phäaken als eines von Rosinenpickern.
    Die Bösen waren immer die anderen, wir haben die Kultur ermöglicht in unserem ehemaligen Imperium. Wenn wir nicht gewesen wären … Und wir glauben alle daran, daß wir die Besseren, die Friedfertigeren waren, denen die anderen übel mitgespielt haben. Und wenn wir uns schon einmal in Rache übten, dann haben sie es auch verdient gehabt, nämlich die anderen. Und gelitten haben wir schließlich genug. Und wie viele Leute sich bei uns umbringen … na, dafür haben wir eben diese glänzende Vergangenheit, die uns keiner mehr nehmen kann. Ganz im Gegenteil, und wir stopfen weiterhin alles in diesen Trichter.«
    Natürlich hört Mela dem Konsul zu, schließlich hat sie zeit ihres Lebens Monologisierende um sich gehabt. Aber geschwächt, wie sie ist, findet sie auch dann keine Stelle zum Einhaken, als der Konsul irgendeinen Satz brauchen würde, an dem sich seine Eloquenz von neuem entzünden könnte. So schaut es eher so aus, als rinne er langsam über, ohne sichaus seiner Berufs- und Allgemeinbetrachtung befreien zu können. Mela seufzt leise, und siehe da, es genügt. Ein wenig verwirrt und überbesorgt fragt der Konsul, was er für sie tun könne, die Schwester herbeirufen oder ihr etwas einflößen.
    Mela schüttelt nur den Kopf, noch immer leidensbereit. »Wann kommt meine Tochter?« Und damit ist alles über ihre Wünsche gesagt.
    Bevor der Konsul sich noch überlegen kann, was er antwortet, öffnet sich die Tür, und eine eilige Borisch schwappt mit wehenden Haarspitzen herein, ergießt sich mit einem feuchten, nach frischer Brise riechenden Luftschwall in das laue weiße Krankenzimmer, und der Konsul macht erleichtert Platz.
    Da wird sofort das Kissen aufgeschüttelt und nach Melas Stirn gegriffen, die über dem Bett hängende Fieberkurve kontrolliert und jedes Medikamentenfläschchen in die Hand genommen und gegen das Licht gehalten.
    Dann aber, als Mela auf die Frage »Hast du was gegessen?« nur verstockt den Kopf schüttelt, wendet Borisch sich in voll ausgespielter Verzweiflung an den Konsul: »Was kann man nur tun, damit sie endlich ißt?«
    Da der Konsul das auch nicht weiß, entspinnt sich – wie so oft an Krankenbetten – ein lebhaftes Gespräch zwischen den Besuchern, während der oder die Kranke, der jeweiligen Krankheit überlassen, abgewandt vor sich hin leidet.
    Borisch erzählt von ihrem Besuch in der Kahriye Dschami an der nordwestlichen Stadtmauer und welch überwältigenden Eindruck die byzantinischen Fresken und Mosaiken auf ihr Auge, aber nicht nur auf das Auge, sondern auf ihr ganzes Gemüt gemacht hätten. Und sie habe, worauf sie besonders stolz sei, nach den Erklärungen des jüngeren Heyn allein mitDolmusch und Bus hingefunden, und das sogar mit Umsteigen. Die Straßen befänden sich allerdings in einem grauenhaften Zustand, nachdem es am Morgen geregnet habe, vor allem das Stück von der

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