Ueber die Verhaeltnisse
Bushaltestelle bis zur Kahriye habe sich in eine Art Schlammschleuse verwandelt, in der einmal sogar einer ihrer Schuhe steckengeblieben sei, so daß sie für Sekunden mit erhobenem nacktem Fuß dagestanden sei, zum Gaudium einiger Kinder, die auf dem letzten Stückchen Gehsteig Abfangen spielten.
Doch plötzlich fragt Borisch den Konsul unvermittelt: »Wissen Sie vielleicht was Neues über die Schweinereien zu Hause?« Borischs ungarischer Akzent hängt in der Luft wie ein Blitz, der es sich im letzten Augenblick überlegt und doch nicht einschlägt. Der Konsul zuckt sichtlich, doch das von Borisch so unverwechselbar formulierte Schwäineräi läßt ihm doch noch ein Lächeln offen, ohne daß er sich – diplomatisch gesehen – wer weiß was damit vergäbe.
»Auf welchen Zweig der Politik belieben Gnädigste anzuspielen?« fragt der Konsul mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Zweig?« Borisch lacht sarkastisch, »den ganzen Baum beutelt der Wind, daß die morschen Äste nur so durch die Luft fliegen.«
»Es wird blaue Augen geben«, der Konsul kratzt nachdenklich sein Kinn. »Und Leichen. Die Wahlkampfhandlungen sind eröffnet. Zum Glück interessiert hier hinten in der Türkei unsere unmittelbare Vergangenheit niemanden. Aber daheim ist der Verlauf ein teuflischer, und das Wahlvolk wird trotzig reagieren, glauben Sie mir, meine Damen. Es heißt zwar, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, aber wenn die Krähen in zwei Lager zerfallen, ist alles möglich.«
Eine Krankenschwester kommt ins Zimmer und stecktMela ein Fieberthermometer unter den Arm. So freundlich ihr Lächeln für die Besucher auch ist, es bedeutet: »Die Besuchszeit ist zu Ende, bitte verlassen Sie den Raum.«
»Wann?« fragt Mela während der großen Verabschiedungsszene, an der sie sich ziemlich herabgestimmt beteiligt. Der Konsul tätschelt ihr begütigend den Handrücken und sagt mit überdeutlicher Zuversicht: »Ganz sicher in den nächsten Tagen.«
Bei jener ersten Wiederbegegnung mit ihrer Mutter, sagte Frô zu Ayhan, habe sie die Intimität der gemeinsamen Sprache am meisten berührt. Einer Sprache, in der sie, ihre Mutter, aber auch Borisch von ihrer, Frôs, Kindheit an miteinander umgegangen seien, einer Sprache, die eine bestimmte Dialektfärbung aufweist, aus häufig gebrauchten Ausdrücken und Redewendungen besteht und von Zeit zu Zeit auf bestimmte Kinderwörter zurückverfällt, die für andere Menschen wohl auch etwas anderes bedeuteten. Eine Art von Privatsprache gewissermaßen, die sie zwar nicht wirklich vermißt, die sie aber beim Wiederfinden mit Herzklopfen als solche erkannt habe.
»Natürlich bin ich erschrocken, als ich meine Mutter so blaß aus den Kissen hervorschauen sah, aber an eine wirklich ernsthafte Erkrankung habe ich dennoch nicht glauben können. Zum Glück ist Borisch noch vorher zu ihr gekommen, so hat sich die Erregung der Mutter im Zaum halten und der Ausbruch, mit dem zu rechnen war, verhindern lassen. Ich habe meine Mutter einfach umarmt und mich dann an ihr Bett gesetzt, während Borisch das Ausfragen übernommen hat. Und indem Borisch einen Ton angeschlagen hat, der mich quasi in die Kindheit zurückversetzte, ist es uns allen dreien leichter gefallen, ein bißchen Abstand zu halten.
›Du Lausmensch‹, hat Borisch zu mir gesagt, ›dir gehört einfach der Hintern ausgehaut. Ist das eine Art, uns zwei alte Weltreisende so lange hier sitzenzulassen? Du warst immer schon ein kapriziöser Fratz, aber jetzt schau, was du angerichtet hast.‹ Und sie hat auf die Mutter gedeutet. Aber gerade indem sie mich so direkt für deren Zustand verantwortlich machte, hat sie meine Mutter gezwungen, von einer Beschuldigung in dieser Form abzusehen und statt dessen zu sagen: ›Ach was, hör ihr nicht zu, ich habe irgendwas erwischt, das ist alles.‹ Und dann hat sie großmütig hinzugefügt: ›Bin ich froh, daß du endlich da bist.‹
Dann hat Borisch, die Gelegenheit nutzend, der Mutter ein paar Bissen von einem Biskuit und dazu ein paar Löffel Joghurt aufgedrängt, und sie hat auch, von Borisch diskret gefüttert, alles gegessen, während sie mit mir redete, ohne daß sie sogleich nach der Speitasse hat greifen müssen.
Erst später, als wir uns bereits warmgeredet hatten, ist Borisch aufgestanden und hat gesagt, sie sei mit deinem Bruder Christoph verabredet, er habe versprochen, sie zu den süßen Wassern Asiens zu führen, und während ich sie hinausbegleitete, hat Borisch mir zugezischt:
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