Über Gott und die Welt
spiegelgenauen Entsprechungen gibt, nur Vermittlungen, Täuschungen, Inkongruenzen (welchen Grund hat Chomsky, Nativist in Sachen Grammatik, sich für ein anderes Amerika als das bestehende einzusetzen?). Und zweitens ist daraus zu schließen, daß sich aus einer Philosophie nicht unbedingt eine Ideologie ableiten läßt (wie bringt es Louis Althusser fertig, ein spinozianischer Marxist zu sein?), ebensowenig wie aus einer Ideologie eine Philosophie (wie bringt es der konservative Balzac fertig, die Gesellschaft so zu beschreiben, wie es Marx und Engels getan hätten?). Nicht immer garantiert ein Verhalten eine entsprechende Philosophie (auch Reaktionäre waren aktiv im Widerstand gegen die Nazis). Und über die Freisprüche eines Denkens aufgrund einer politischen Praxis kann die Geschichte nur lächeln; so lächeln wie über die voreiligen Verurteilungen eines angeblich antihistorischen Denkens.
Heraklit, der Aristokrat, hat, während er uns seinen metaphysischen Kampf der Gegensätze auffl ackern läßt, ein waches Auge für das ökonomische Leben in seiner Zeit: »Wechselweiser Umsatz: des Alls gegen das Feuer und des Feuers gegen das All, so wie der Waren gegen Gold und des Goldes gegen Waren.« Ist sein kosmischer Kampf die Metapher eines neuen Gesetzes im Leben der Händlerklasse seiner Zeit oder die Präfi guration der Geschichte als Klassenkampf? Was gibt der Philosophie Heraklits einen Sinn: sein aristokratisches Leben oder der »demokratische«
Gebrauch, den andere von ihr machen? Zwingt uns die Praxis des Denkers, sein Denken in einem anderen Licht zu sehen? Sei’s wenn sie es bestätigt oder ihm widerspricht? Und was heißt dem eigenen Denken widersprechen? Waren Zenon und sein Lehrer Parmenides wirklich die Philosophen der Reglosigkeit? Lehrten sie wirklich, daß die reale Welt nicht zu verändern sei?
In Wahrheit (und das weiß die Geschichte der Philosophie seit langem, man braucht sie nur nachzulesen) war das Sein, von dem Parmenides sprach, nicht die empirische Wirklichkeit, die wir erleben. Es war eher, sagen wir einmal, ihr logischer Käfi g, das Licht der Vernunft gegen das Dunkel der Fakten (aber auch das Dunkel der Vernunft gegen das Licht der Fakten). Mitten in seinem philosophischen Lehrgedicht, nachdem er von der Notwendigkeit gesprochen hat, mit der das Sein ist, und zwar so, wie das Denken es denkt, sagt Parmenides: »Damit beschließe ich mein verläßliches Reden und Denken über die Wahrheit.« Jetzt, sagt er, spreche ich von den menschlichen Meinungen, und gebt acht, die Ordnung meiner Worte ist trügerisch. Gewiß, denn er spricht von der Veränderlichkeit der Erfahrung. Aber er spricht von ihr. Und er beschreibt ihre physischen Mechanismen, das Warme und das Kalte, die Sternbilder und die astronomische Form des Universums. Er spricht vom Schein als von einem Schein, aber da wir im Schein leben, plagt er sich damit ab, ihn zu analysieren. So wie auch Zenon, wenn er mit Paradoxen spielt, um zu beweisen, daß die Bewegung nicht existiert, dies nur tut, um seinen Meister zu verteidigen und jene zu widerlegen, die beweisen möchten, daß die Lehre von der Reglosigkeit des Seins absurd sei. Auf einen absurden Klotz ein absurder Keil, sagt er sich, und führt auch die bloße Idee der Bewegung noch ad absurdum. Paradox gegen Paradox. Doch abgesehen davon, daß dieses Paradox den Weg zu mathematischen Lehren der Neuzeit öffnet (und sogar Cantor und Russell antizipiert), glaubt Zenon so wenig an die Unmöglichkeit der Bewegung, daß er stirbt, um die Bewegung der Geschichte zu ändern. Die zwar nichts anderes ist als die Welt des Scheins und, wenn wir so wollen, der Illusion. Aber Zenon erinnert uns daran, daß man für jene Illusion, die unsere Alltäglichkeit ist, auch sterben kann. Sie mag Schein sein, nicht zurückführbar auf die Gesetze der logischen Identität, aber sie ist mein Schein, mit dem ich mich identifi ziere, meine Stadt: right or wrong, my party. Wenn die Utopie der unbeweglichen Wahrheit mich zu immobilisieren droht, sprenge ich die hemmenden Ketten (nicht die Kohärenz des Widerspruchs) und stürze mich in die Teilwahrheit, koste es auch mein Leben.
Zenon orientierte sein Handeln nicht am Sein, sondern am politischen Unwohlsein seiner tyrannisierten Mitbürger. Und vielleicht sah er in der Vernichtung des Tyrannen den einzigen Weg, auf die Ansprüche der Vernunft zu pochen. Es gibt aber noch einen letzten Aspekt des Falles, der mir sehr aktuell erscheint. Russell war
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