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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Ungeachtet all dessen ist der Modus des Cogito interruptus eine große prophetische, dichterische und psychagogische Technik. Nur eben keine, die sich besprechen läßt. Daher bedarf es eines schönen Vertrauens zum Cogito perfectus (das mir der Leser hoffentlich zuerkennt), um dennoch darüber zu sprechen.
    In den Diskursen über die Welt der Massenmedien und der technischen Zivilisation ist der Modus des Cogito interruptus sehr in Mode bei denen, die ich andernorts26 als »Apokalyptiker« bezeichnet habe: Leute, die in den Geschehnissen der Vergangenheit lauter Symbole einer wohlbekannten Harmonie erblicken und in denen der Gegenwart lauter Symbole eines unaufhaltsamen Niedergangs, so daß ihnen jedes Mädchen im Minirock nur als dechiffrierbare Hieroglyphe für ein Ende der Zeiten erscheint. Unbekannt war dieses Denken hingegen bisher bei den »Integrierten«, die das Universum nicht entziffern, sondern problemlos bewohnen. Es wird indessen von einer Kategorie gepfl egt, die wir als Hyper- oder pfi ngstliche Integrierte bezeichnen können, besser noch als Parusiasten: Leute, die von der platoni-schen Parusie durchdrungen sind, vom Syndrom der vergilschen Vierten Ekloge befallen, Zungenredner des Goldenen Zeitalters.
    Wenn die Apokalyptiker traurige Brüder Noahs waren, sind die Parusiasten fröhliche Vettern der Weisen aus dem Morgenland.
    Dank eines glücklichen Zufalls in den Verlagsprogrammen können wir nun zwei Bücher gemeinsam betrachten, die beide, jedes auf seine Weise und zu seiner Zeit, sehr erfolgreich waren und zu den Grundlagentexten für einen wohlfundierten Diskurs über die moderne Zivilisation gehören: Hans Sedlmayrs Verlust der Mitte, ein Hauptwerk des apokalyptischen Denkens, und Marshall McLuhans Understanding Media (unschön übersetzt als »Die Instrumente des Kommunizierens«27), vielleicht das anregendste und gelungenste Werk aus der parusiastischen Schule. Der Leser, der sich beide gleichzeitig vornimmt, freut sich auf ein dialektisches Fest, eine Orgie von Argumenten, Gegenargumenten und Widerlegungen, die ihm plastisch vor Augen führen, wie verschieden zwei Denker von so radikal entgegengesetzter Weltsicht argumentieren – und statt dessen entdeckt er, daß beide ganz gleichartig argumentieren, ja, mehr noch, sie führen auch beide die gleichen Belege ins Feld. Genauer: Sie berufen sich auf die gleichen Ereignisse, nur sieht der eine sie als Symbole und der andere als Symptome, der eine erwähnt sie im düsteren Ton der Klage, der andere mit fröhlichem Optimismus, der eine schreibt sie auf Bögen mit Trauerrand, der andere auf Hochzeitsanzeigen, der eine versieht sie mit einem Minus-Zeichen, der andere mit einem Plus-Zeichen – doch beide versäumen es, Gleichungen zu formulieren, denn im Cogito interruptus werden Symbole und Symptome mit vollen Händen ausgestreut wie Konfetti im Karneval und nicht pingelig aneinandergereiht wie Kügelchen auf einem Rechenbrett.
    Verlust der Mitte erschien 1948. Zeitlich bereits recht fern von den Tagen des Zorns, als man die Werke der »entarteten Kunst«
    verbrannte, bewahrt es sich davon gleichwohl noch (wir sprechen vom Werk, nicht von der Biographie des Autors) einen fl ackernden Widerschein. Doch wer die ersten Kapitel liest, ohne die Sedlmayrsche Position im Kontext der Ideengeschichte zu kennen, fi ndet zunächst eine theoretische Abhandlung (scheinbar sine ira et studio) über die »führenden Aufgaben der modernen Architektur« seit den englischen Landschaftsgärten und den uto-pistischen Monumentalentwürfen der Französischen Revolution, gesehen als Symptome für eine Diagnose der Zeit: Der Kult der •
    Vernunft erzeugt eine »Religion der Denkmäler für die Ewigkeit«, eine Vorliebe für das Grabmal, beim Gärtnerhäuschen wie beim Museum, die eine Suche nach chthonischen Kräften enthüllt, nach tiefen Verwandtschaften mit den Urkräften der Natur; die Geburt einer Idee der »ästhetischen Kirche«, des Kunsttempels ohne Bildnis eines bestimmten Gottes; im Biedermeier dann eine Abkehr von den großen Themen des Heiligen und eine Hinwendung zum Bequemen, Privaten, Intimen; danach eine Renaissance der Äußerlichkeit im Theaterbau und schließlich die Geburt jener weltlichen Kathedralen in Gestalt der riesigen Ausstellungshallen aus Glas und Stahl …
    Von der Anbetung Gottes zur Anbetung der Natur, vom Kult der ästhetischen Form zum Kult der Technik: soweit Sedlmayrs Beschreibung einer »Abfolge«. Doch kaum defi niert er dann

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