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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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darüber beunruhigt, daß nach Parmenides keine Negation möglich wäre (auch keine Lüge), da sprechen immer nur sprechen von etwas Seiendem ist und nicht von etwas Nichtseiendem. Andererseits wußte Parmenides, daß die Ordnung der Sprache sich auf die Welt des Scheins bezieht, die sie benennt, und daher letzten Endes immer trügerisch ist. Zenon beschließt nun, um den Tyrannen irrezuführen, zu lügen. Er täuscht den Tyrannen, indem er ihm sagt, daß die Verschwörer niemand anders als seine Freunde seien (eine brechtische Lösung, die uns durch ihre revolutionäre Vorurteilslosigkeit fasziniert). Indem er das tut, suggeriert er uns zweierlei. Erstens sagt er uns durch sein Handeln, daß die Sprache eine mögliche Welt schaffen kann und daß eine von der Sprache geschaffene mögliche Welt so sehr »ist«, daß sie die Konnotate der wirklichen Welt verändert (der Tyrann wird isoliert). Und zweitens weiß er, daß er mit einer Aussage, die an der Oberfl äche nicht wahr ist, de facto etwas bekräftigt, was in der Tiefe wahr ist, nämlich daß die Tyrannei von Verdacht und Verrat lebt. Zenon lügt also, um die verblendete Wahrheit der Tyrannei zu bestätigen. Und damit zerstört er sie: Er gibt dem Tyrannen die eigene Unterdrückungstechnik zu fressen …
    Wirklich, warum wollen wir das den Studenten von morgen vorenthalten? Diese Chronik aktueller Ereignisse, als die sich, im Licht der Kulturgeschichte betrachtet, die Philosophiegeschichte entpuppt?
    ( Corriere della sera, 1975)
    Vom Cogito interruptus
    Es gibt Bücher, die man leichter besprechen, erklären, laut kommentieren als still für sich lesen kann; denn nur mit dem Stift in der Hand kann man ihre Gedankengänge, die zwingende Logik ihrer Schlußfolgerungen oder das feine Binnengefl echt ihrer Argumente gebührend verfolgen. Darum existieren für Bücher wie die Metaphysik des Aristoteles oder die Kritik der reinen Vernunft mehr Kommentatoren als Leser, mehr Spezialisten als Liebhaber.
    Umgekehrt gibt es Bücher, die sich höchst angenehm lesen, aber unmöglich beschreiben lassen; denn sobald man sie darzulegen oder zu kommentieren versucht, merkt man, daß sie sich heftig dagegen sträuben, in Formeln wie »dieses Buch besagt, daß …«
    übersetzt zu werden. Wer sie zum Vergnügen liest, fi ndet sich gut bedient für sein Geld; wer sie aber liest, um sie anderen zu resü-
    mieren, ärgert sich über jede Zeile, zerreißt die eben gemachten Notizen, sucht die Folgerung nach dem »folglich« und fi ndet sie nicht.
    Zweifellos wäre es unverzeihlicher Ethnozentrismus, etwa eine Zen-Erzählung, die anderen logischen Idealen als den unseren folgt, als »unlogisch« zu deklarieren; doch wenn sich unser westliches Denk-Ideal in einem bestimmten Modell resümiert, das aus »wenn« und »dann« und »da« und »folglich« besteht, dann fi nden wir in diesen Büchern illustre Beispiele für ein Denken als Cogito interruptus, dessen Verfahren wir uns bewußtmachen müssen. Und da dieses Denken sowohl den Verrückten wie den Autoren einer wohlüberlegten »Unlogik« eigen ist, müssen wir jeweils klären, wann es ein Defekt ist und wann eine Tugend, und zwar eine (allen malthusianischen Vorurteilen zum Trotz) befruchtende Tugend.
    Cogito interruptus ist typisch für jene, die überall in der Welt Symbole sehen. So der Verrückte (der uns zum Beispiel ein Streichholzheftchen vor die Nase hält, uns lange und tief in die Augen blickt und schließlich bedeutungsvoll sagt: »Seht ihr, es sind genau sieben …«, in der Erwartung, daß wir den verborgenen Sinn dieses unwiderlegbaren Zeichens erfassen); so auch der Bewohner eines symbolischen Universums, dem jeder Gegenstand und jedes Ereignis zum Zeichen für etwas Überirdisches wird, das alle bereits vorhanden wissen und nur noch bestätigt sehen wollen.
    Aber Cogito interruptus ist auch typisch für jene, die überall in der Welt nicht Symbole, sondern Symptome sehen: untrügliche Vorzeichen für etwas, das nicht im Jenseits oder im Diesseits verborgen ist, sondern früher oder später geschehen wird.
    Die Not des Rezensenten beginnt jedoch schon, wenn einer bedeutungsvoll sagt: »Seht ihr, genau sieben Streichhölzer …«, denn schon weiß man nicht mehr, wie man den anderen die Tragweite dieses symptomatischen Zeichens erklären soll; und wenn der Betreffende gar noch hinzufügt: »Und denkt nur, falls ihr noch Zweifel habt, vier Schwalben sind heute vorbeigefl ogen!«, dann ist der Rezensent vollends verloren.

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