Über Gott und die Welt
der Insel ergab sich alles aus gefundenem Material. Weiter gibt es dann jene Romane, die auf den ersten Blick recht billig erscheinen, aber alles zusammengerechnet doch teurer waren, als man gedacht hat. Zum Beispiel der ganze Joyce’sche Stephen Daedalus, für den mindestens elf Jahre Pension bei den Jesuiten zu veranschlagen sind, von Clongowes Wood über Belvedere bis zum University College, dazu die Bücher.
Sprechen wir nicht von dem verschwenderischen Aufwand, den Arbasino in Fratelli d’Italia getrieben hat (Capri, Spoleto, dauernd im Sportwagen unterwegs; man bedenke dagegen,
wieviel ökonomischer Sanguineti, der kein Junggeselle war, sein Capriccio italiano angelegt hat, er brauchte bloß seine Familie, und schon ging’s los). Ein ziemlich teures Werk ist die ganze Proustsche Recherche: Als Gast bei den Guermantes war es sicher nicht möglich, im Leihfrack zu kommen, dann Blumen, kleine Geschenke, Hotel in Balbec und mit Ascenseur, der Rollstuhl für die Großmutter, das Fahrrad für die Treffen mit Albertine und Saint Loup, und Fahrräder waren damals noch teuer. Kein Vergleich zu den Gärten der Finzi-Contini, in jener Zeit waren Fahrräder schon recht gängige Ware, Bassani brauchte nur einen Tennisschläger, ein neues Hemd, und für alles andere kam die überaus gastfreundliche eponyme Familie auf.
Dagegen war der Zauberberg wahrhaftig kein Scherz, mit den Sanatoriumskosten, dem Pelz, dem Kalpak, dazu dem entgange-nen Gewinn aus Hans Castorps Geschäft. Ganz zu schweigen vom Tod in Venedig, man denke nur an den Preis für ein Zimmer mit Bad in einem Hotel am Lido, und zu jener Zeit gab ein Herr wie von Aschenbach, um der Schicklichkeit willen, allein schon für Trinkgelder, Gondeln und Vuitton-Koffer ein Vermögen aus.
Gut, soviel zum ursprünglichen Ansatz, wir dachten damals sogar daran, Magister- und Doktorarbeiten über das Thema anzu-regen, denn die Methode war da, und die Daten sind nachprüfbar.
Allerdings kommen mir heute, wenn ich das Problem überdenke, einige beunruhigende Fragen. Versuchen wir beispielsweise nur einmal, die malaiischen Romane von Joseph Conrad mit den malaiischen Romanen von Emilio Salgari zu vergleichen. Als erstes springt ins Auge, daß Conrad, nachdem er eine gewisse Summe für das Kapitänspatent zu großer Fahrt investiert hat, den immensen Stoff zur Bearbeitung gratis vorfi ndet, ja für seine Fahrten sogar noch bezahlt wird. Recht anders dagegen die Lage Salgaris. Bekanntlich ist er (wie Karl May) nie oder fast nie gereist, und so mußte er sich seinen ganzen malaiischen Archipel, die luxuriöse Einrichtung des »buen retiro« von Mompracem, die Pistolen mit Elfenbeingriff, die nußgroßen Rubine, die Flinten mit ziseliertem Lauf, das Maschinengewehr usw. ja selbst noch den Betel beim Requisiteur besorgen, für teures Geld. Der Bau, der Kauf und dann die Versenkung des »Re del Mare«, noch ehe die Kosten sich amortisiert hatten, muß ein Vermögen gekostet haben. Müßig zu fragen, wie der notorische Hungerleider Salgari sich die nötigen Summen beschafft hat: Wir betreiben hier keinen vulgären Soziologismus, er wird Wechsel ausgestellt haben. Sicher indessen ist, daß der Ärmste alles im Studio nachbauen mußte, wie ein Bühnenbild für die Scala.
Der Vergleich Conrad-Salgari bringt uns auf einen weiteren: zwischen der Schlacht von Waterloo in der Chartreuse de Parme und der in den Miserables. Stendhal hat offensichtlich die authentische Schlacht benutzt, und der Beweis, daß er sie nicht rekonstruiert hat, ist gerade der Umstand, daß Fabrizio sich nicht in ihr zurechtfi ndet. Victor Hugo dagegen hat sie ex novo rekonstruiert, wie die Karte des Reiches im Maßstab eins zu eins, und zwar mit enormen Massenbewegungen, aus dem Hubschrauber aufgenommen, mit lahmenden Pferden und großer Verschwendung von Artilleriefeuer, in Salven zwar, aber doch so laut, daß sie von weitem noch Grouchy vernahm. Es mag paradox klingen, aber das einzig Billige in diesem großen Remake war das »Merde!«
von Cambronne.
Schließlich ein letzter Vergleich. Auf der einen Seite haben wir jene ökonomisch recht einträgliche Operation, die Manzonis Promessi sposi waren, übrigens das beste Beispiel für einen Qualitäts-Bestseller, Wort für Wort kalkuliert nach genauen Studien der Grundstimmung seiner Zeit. Von den Burgen auf Bergeshöhen, vom Seitenarm des Comer Sees bis zur Porta Renza in Mailand hatte Manzoni alles zur Verfügung, und man beachte, mit welcher Umsicht er, wenn
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