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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Vasenmaler sich nicht analoge Späße erlaubt, vielleicht mit weniger Grund als die Satiriker des frühindustriellen Fortschrittsglaubens. Für Cézanne und den Kubismus kann sich der Leser schon denken, was Sedlmayr von dieser Reduktion der Malerei auf eine »Darstellung der im Sehen vorfi ndbaren«36
    Wirklichkeit hält; in der übrigen zeitgenössischen Malerei kann er nur noch apokalyptische Zeichen erkennen, etwa die
    »Verzerrungen wie im Hohlspiegel« und die Fotomontage, typische Beispiele für »außermenschliche Ansichten«.37 Unnütz zu erwidern, daß mir, da ich es bin, den ich in einem Hohlspiegel sehe, den ich gemacht habe, diese Ansicht ebenso menschlich erscheint wie die zyklopische Deformation im perspektivischen Kasten der Renaissance, eine alte Geschichte. Sedlmayr sieht das Bild des Chaos und Todes eben stets in den Zeichen, die er darauf bezieht. Niemand bezweifelt, daß die Phänomene, die er aufzählt, wirklich Zeichen für etwas sind; Aufgabe eines Historikers der Kunst und der Kultur im allgemeinen wäre es aber gerade, diese Phänomene zu korrelieren, um zu sehen, wie sie zusammenpassen.
    Statt dessen ist Sedlmayrs Diskurs paranoisch, da er alle Zeichen auf eine unbegründete und philosophisch vage Obsession zurück-führt – und so bleibt am Ende kein Unterschied zwischen der Kugel als Symbol für die Ablösung von der Erde, dem Flachdach als Beispiel für den Verzicht auf Anstieg und dem Einhorn als sichtbarem Zeichen für die Jungfräulichkeit Marias.
    Sedlmayr ist ein Spätling des Mittelalters, der weitaus scharf-sinnigere und visionärer erleuchtete Zeichendeuter imitiert. Und daß sein Diskurs ein so exzellentes Beispiel für Cogito interruptus ist, liegt an seinem allusiven und Einverständnis heischenden Gestus: Jedesmal, wenn er ein Zeichen erwähnt hat, stößt er uns mit dem Ellbogen an, zwinkert uns zu und sagt: Na, habt ihr’s gesehen? So passiert es ihm, daß er in drei Zeilen die Tendenz der modernen Kunst zum Amorphen und Degenerierten mit
    der Tendenz der modernen Wissenschaft zur Entdeckung des Anorganischen gleichsetzt und daraus deduziert (Extrapolation nach Art eines klinischen Falles), das Organ der Degeneration sei der exakte Verstand, sein Instrument sei die mathematische Logik und seine »für diese Sicht entwickelten Organe« seien die Mikro-und Makroskopie; und nach Erwähnung der Makroskopie fügt er in Klammern hinzu: »auch hier Verlust der Mitte«.38 Nein, Herr Professor Sedlmayr, den sehe ich hier beim besten Willen nicht, und Sie sind ein Blender. Wenn es niemand zu sagen wagt, sage ich es: Entweder Sie erklären sich deutlicher, oder es gibt keinen Unterschied zwischen Ihnen und einem, der mir versichert, daß Freitag der dreizehnte Unglück bringe.
    Schlagen wir nun McLuhan auf. McLuhan sagt dasselbe wie Sedlmayr, auch für ihn hat der Mensch die Mitte verloren. Nur lautet sein Kommentar: Na endlich, es war auch Zeit!
    McLuhans These besagt, wie inzwischen jedermann weiß, daß die Errungenschaften der Technik, vom Rad bis zur Elektrizität, als Medien aufgefaßt werden müssen, das heißt als Ausweitungen unseres Körpers. Diese Ausweitungen haben im Verlauf der Geschichte Traumata, Betäubungen und Umstrukturierungen unserer Sinne bewirkt. Als ihre Verstärker oder Substitute haben sie unsere Weltsicht verändert, und die Veränderung, die ein neues Medium bewirkt, macht den Erfahrungsgehalt, den es transportieren kann, irrelevant. Das Medium ist die Botschaft, nicht was uns die neue Ausweitung bringt, ist entscheidend, sondern die Form der Ausweitung selbst. Was immer wir auf der Schreibmaschine auch schreiben, es wird nie so wichtig sein wie die radikal andere Art, in der die Technik des Maschineschreibens uns die Schrift zu sehen gelehrt hat. Daß die Erfi ndung des Buchdrucks zur Verbreitung der Bibel im Volk geführt hat, beruht auf dem Umstand, daß jede technische Neuerung »immer das verstärkt, was wir schon sind«. Die Drucktechnik hätte sich auch in den arabischen Ländern ausbreiten und den Koran in jedes Haus bringen können, und die Folgen wären dieselben gewesen wie für die moderne westliche Mentalität: Zerlegung der intellektuellen Praxis in gleichförmige und wiederholbare Einheiten, Herausbildung eines Sinnes für Homogenität und Kontinuität, der ein paar Jahrhunderte später das Fließband her-vorgebracht hat und der sowohl Voraussetzung für die Ideologie des mechanischen Zeitalters war wie auch für die Kosmologie der Infi

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