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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Vergebung der Sünden, jawohl, und die kommt von Gott!«
    Der Doktor macht einen letzten Versuch, den common sense zu verteidigen: »Well, Madam, sehen Sie, die Wissenschaft kann nicht alles erklären, wir können nicht alles wissen …« Der Kuhlmann entfährt ein tierisches Wow!, ein richtiger Lustschrei:
    »Was hab ich gesagt! That’s the Truth! Oh, wie recht Sie da haben, Doktor! Wir können nicht alles wissen! Genau das ist der Beweis für die Supernatural Power of God! Die Supernatural Power of God braucht keine Verteidigung! Ich weiß es, ich weiß es! Danke, dear friends, genug für heute, bis nächsten Sonntag …«
    Die Kuhlmann hat sich nicht einmal ansatzweise gefragt (wie ein katholischer Bischof es täte), ob der Geheilte gebetet hatte, sie fragt sich auch nicht, warum Gott seine Supernatural Power nur auf diesen einen angewandt hat und nicht auch auf seinen unglücklichen Bettnachbarn in der Klinik. Im farbigen Rosengarten hat sich etwas ereignet, das wie ein Wunder »aussieht«, so wie eine Wachsfi gur das physische Aussehen einer Figur der Geschichte hat. Durch ein Spiel mit Spiegeln und Klängen im Hintergrund erscheint auch hier noch einmal das Falsche echt. Der Doktor hat die gleiche Funktion wie das Zertifi kat der italienischen Kunstbehörde in den Kopienmuseen: Die Kopie ist authentisch.
    Doch wenn das Übernatürliche nur die Formen der physischen Greifbarkeit annehmen kann, entrinnt auch das Weiterleben der Seele nicht diesem Schicksal. Das ist es, was uns die kalifornischen Friedhöfe sagen. Forest Lawn ist eine Konzentration von historischen Denkmälern, Michelangelo-Reproduktionen, Wunderkammern, in denen man die Imitation der britischen Kronjuwelen bestaunen kann, die Bronzetüren des Baptisteriums von Florenz (in voller Größe), den Denker von Rodin, den Fuß vom Pasquino und allerlei andere Bijouterien, das Ganze grundiert mit Klängen von Strauß ( Johann). Die Forest-Lawn-Friedhöfe meiden das individuelle Grabmonument, die Meisterwerke der Kunst aller Zeiten sind Teil des gemeinsamen Erbes, im Hollywood Forest Lawn sind die Gräber unter bescheidenen Bronzeplatten im Rasen verborgen, im Glendale Forest Lawn in sehr nüchternen Krypten mit konstanter Musikberieselung und Kopien von klassizistischen Statuen nackter Mädchen à la Canova – hier eine Hebe, da eine Venus, dort eine Vergine Disarmata, mal eine Paolina Borghese, mal auch ein Sacro Cuore.
    Die Philosophie dieser Friedhöfe fi ndet sich, dargelegt von ihrem Begründer Eaton, in Stein geschnitten auf großen Stelen jeweils am Eingang. Das Konzept ist sehr einfach: Der Tod ist ein neues Leben, die Friedhöfe sollen kein Ort der Traurigkeit sein, auch keine ungeordnete Ansammlung biederer Grabfi guren. Sie sollen Reproduktionen der schönsten Kunstwerke aller Zeiten enthalten, dazu Denkmäler der Geschichte (große Mosaikbilder der Geschichte Amerikas, Erinnerungsstücke – falsche – aus dem Unabhängigkeitskrieg), sie sollen lauschige Orte mit Bäumen und heiteren Kirchlein sein, wo Liebespaare händchenhaltend Spazierengehen (und bei Gott, sie tun es), wo Brautpaare ihre Hochzeit feiern (wofür eine große Tafel am Eingang in Glendale Reklame macht) und wo die frommen Seelen beruhigt über das Weiterleben nach dem Tod meditieren können … Aus all diesen Gründen sind diese kalifornischen Friedhöfe (die fraglos angenehmer sind als die italienischen), immense Imitationen eines natürlichen und ästhetischen Lebens, das den Tod über-dauert. Die Ewigkeit wird garantiert durch die Anwesenheit (in Kopien) von Michelangelo und Donatello. Die Unsterblichkeit der Kunst macht sich zur Metapher der unsterblichen Seele, die Vitalität der Pfl anzen und Blumen zur Metonymie der Vitalität des Körpers, der glorreich unter der Erde verwest, um dem Leben neue Säfte zu geben. Durch das Spiel der Imitationen und Kopien gelingt es der Industrie des Absolut Falschen, dem Mythos von der Unsterblichkeit einen Anschein von Wahrheit zu geben, sie realisiert die Präsenz des Göttlichen als Präsenz des Natürlichen – doch das Natürliche ist »kultiviert« wie in den Marinelands.
    Unmittelbar vor den Toren dieser lauschigen Orte nimmt die Unterhaltungsindustrie ein neues Thema in Angriff: das Jenseits als Horror, als teufl ische Gegenwart, und die Natur als Feind.
    Während die Friedhöfe und die Wachsmuseen den ewigen Ruhm des Kunstschönen singen und die Marinelands der Gutartigkeit des Wilden Tieres ein Denkmal errichten, zeigen die

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