Über Gott und die Welt
Chianti-Hügel reproduzierte. Doch der Vergleich ist ungerecht. Denn die Entfernung zwischen Los Angeles und New Orleans ist so groß wie die von Rom nach Khartum, und es ist der räumliche Abstand, nicht nur der zeitliche, der dieses Riesenland dazu drängt, nicht nur Imitationen der Vergangenheit und der exotischen Länder zu produzieren, sondern auch Imitationen seiner selbst.
Das Problem ist hier aber noch ein anderes. Wie realisiert der Durchschnittsamerikaner, wenn er gewohnt ist, sich das Ferne (in Raum und Zeit) durch fast schon »fl eischliche« Reproduktion zu vergegenwärtigen, sein Verhältnis zum Übernatürlichen?
Sieht man im Fernsehen die religiösen Sendungen am
Sonntagvormittag, so wird einem klar, daß Gott hier nicht anders erlebt werden kann denn als Natur, als Fleisch, Energie, berührbares Bild. Und da es kein Prediger wagt, uns Gott in Gestalt einer bärtigen Puppe zu zeigen, auch nicht in Gestalt eines Automaten aus Disneyland, bleibt nur die Hoffnung, ihn in Gestalt von Naturkräften wiederzufi nden, als Freude, Genesung, Jugend, Gesundheit – oder als ökonomisches Wachstum (das bekanntlich, siehe Max Weber, zugleich das Wesen der protestantischen Ethik und den Geist des Kapitalismus ausdrückt).
Oral Roberts ist ein Prophet mit Boxervisage, der sich im Zentrum von Oklahoma die »Oral Roberts University« aufgebaut hat, eine Science-fi ction-Stadt aus vollcomputerisier-ten Lehrapparaten, in der ein »Gebetsturm« gleich einem Fernsehturm die zahlreichen Bitten um göttliche Hilfe ins All hinausstrahlt, die täglich aus aller Welt dort eintreffen, begleitet von Geldspenden und über Telex wie in den großen Hotels. Oral Roberts hat die robuste Statur eines retirierten Boxers, der immer noch gern jeden Morgen ein Viertelstündchen trainiert und dann eine heiße Dusche nimmt und sich einen guten Scotch geneh-migt. Seine Sendung präsentiert sich als eine Art sakrale Music Hall (ein Broadway im Himmlischen Jerusalem) mit schwarzen und weißen Sängern, die den Ruhm des Herrn singen und dabei im Tiptap-Rhythmus eine Treppe hinuntersteigen, abwechselnd eine Hand vorgestreckt und eine nach hinten, mit »Ba-ba-dup«
nach der Melodie von Jericho, Jericho oder mit Hymnen wie The Lord Is My Comfort. Oral Roberts setzt sich auf die Stufen der Treppe (Anspielung auf Wanda Osiris, nicht auf Odessa) und plaudert mit seiner Lady über die Briefe von Gläubigen, die sich in Schwierigkeiten befi nden. Die Schwierigkeiten betreffen nicht etwa Gewissenskrisen (wie Scheidungen, Diebstahl der Lohngelder oder aufmüpfi ge Angestellte), sondern Leberkrisen oder unheilbare Krankheiten. Oral Roberts ist nämlich berühmt für seine »healing power«: Was er berührt, wird gesund. Übers Fernsehen kann er zwar nichts berühren, aber dafür suggeriert er um so heftiger pausenlos Vitalität und Potenz. Gott muß physisch empfunden werden, als Gesundheit und Optimismus. Oral Roberts sieht das Paradies nicht als Mystische Rose, sondern als ein Marineland. Gott ist ein gutes Urviech. Ein Nashorn, das sein Armageddon kämpft. Satan, verzieh dich, sonst tritt dir Gott in den Hintern!
Schalten wir auf einen anderen Kanal. Das Wort hat jetzt Kathryn Kuhlmann mit ihrer Sendung I believe in miracles, ich glaube an Wunder. An Wunder zu glauben, heißt für gewöhnlich, an einen Krebs zu glauben, der plötzlich verschwindet, wenn die Ärzte schon alle Hoffnung verloren haben. Das Wunder ist keine Transsubstantiation, sondern das Verschwinden einer natürlichen, aber bösartigen Erscheinung. Die Kuhlmann, eine gräßlich ge-schminkte alte Hexe mit einem Lächeln wie die Gattin eines CIA-Direktors zu Besuch bei Pinochet, sitzt in einem Garten voll blühender Rosen und interviewt vier Ärzte mit lauter sehr über-zeugenden Titeln, die sich verzweifelt bemühen, ihre Standesehre zu wahren. »Sagen Sie, Doktor Gzrgnibtz, ich bin ja nicht hier, um Gott zu verteidigen, der meine Hilfe nicht braucht, aber ist Ihnen nie passiert, daß Sie einen Patienten hatten, der schon so gut wie verloren schien, und plötzlich wurde er wieder gesund?«
Der Doktor weicht aus: »Ach wissen Sie, Madam, die Medizin kann nicht alles erklären, manchmal gibt es da psychosomatische Ursachen, sicher habe ich Leute gesehen, die einen Tumor hatten, der war schon sooo groß, und nach zwei Monaten war er wie weggeblasen, was soll ich Ihnen sagen?« Darauf die Kuhlmann:
»Uap uap (fettes Lachen), da haben wir’s, das ist die ›remission‹, die
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