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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sich in diamantenen Stalagmiten, einem symbolträchtigen Material wie kein anderes. Er gibt dem Filius eine reichlich trinitarische Wegzehrung mit auf die Reise, er setzt ihn in ein Raumschiffchen, das die Form einer Wiege hat und durch den Weltraum gleitet wie der Komet der drei Weisen aus dem Morgenland. Und als Superman schließlich erwachsen ist und bedrängende Stimmen hört wie eine Jeanne d’Arc im Schürzenrock, hat er Probleme à la Gethsemane und Visionen wie auf dem Berge Tabor. Er ist der Menschensohn.

Clark Kent erschiene mithin auf der Erde, um die Hoffnungen einer Generation zu erfüllen, die sich an Tolkiens Silmarillion ergötzt und eine Theogonie entziffert, die ihr abverlangt, sich die Kinder von Illuvatar einzuprägen und die Quandis und die Atanis und die blühenden Auen von Valinor und die Wunden von Melkor. Lauter Dinge, die, wären sie ihr in der Schule vorgesetzt worden, dieselbe Generation dazu getrieben hätten, aus Protest gegen autoritäre Faktenhuberei und verzopftes Bücherwissen den Unterricht zu blockieren.
    Die Reinkarnation von Superman erwiese sich demnach als Pop-Version einer Reihe von tieferen und komplexeren Phänomenen, die alle scheinbar ein und dieselbe Tendenz bezeugen: die Rückkehr des religiösen Denkens. Die ganze islamische Welt kehrt zurück zu einer theokratischen Vorstellung des sozialen und politischen Lebens, Massen von amerikanischen Lemmingen stürzen sich im Namen eines überirdischen Glücks in den Tod, neochiliastische Endzeit- und glossolalische Pfi ngst-Bewegungen strömen in die Provinzen Europas, die »Azione Cattolica« tritt wieder auf, der Heilige Stuhl gewinnt erneut an Prestige. Und neben all diesen Erscheinungsformen einer »positiven« Religiosität manifestiert sich die neue Religiosität der Ex-Atheisten, der enttäuschten Revolutionäre, die sich nun eifrig darauf verlegen, die Klassiker der Tradition zu lesen, die Astrologen, Mystiker, Makrobiotiker, visionären Dichter, das Neophantastische (nicht mehr die sozial-kritische Science-fi ction, sondern die Fantasy neuer Artusrunden), und schließlich auch nicht mehr die Texte von Marx oder Lenin, sondern die dunklen Werke großer Inaktueller, nach Möglichkeit enttäuschter »Mitteleuropäer« (aus Kakanien), auf jeden Fall entschlossener Selbstmörder, die niemals im Leben etwas ver-
    öffentlicht haben, die nur ein einziges Manuskript geschrieben und auch das nicht vollendet haben, die lange Zeit unverstanden waren, weil sie in einer minoritären Sprache schrieben, aber stets in Hautnähe mit dem Mysterium des Todes und des Bösen und voller Verachtung für das menschliche Treiben auf Erden und für die moderne Welt.
    Auf all diesen Elementen, auf all diesen unleugbaren Tendenzen errichten die Massenmedien nun jedoch ein Szenario, das genau besehen Feuerbachs Theorie der Entstehung von Religionen wiederholt: Der Mensch fühlt sich in gewisser Weise unvollendet, das heißt, er ist unbeschränkt fähig zu wollen, er kann sozusagen
    »alles« wollen. Doch er merkt, daß er nicht alles verwirklichen kann, was er will, und so muß er sich ein höheres Wesen ersinnen (das in höchstem Maße besitzt, was er sich an Besserem wünscht) und ihm die Aufgabe übertragen, die Kluft zwischen seinem Wollen und seinem Können zu füllen.
    Mit anderen Worten, die Massenmedien signalisieren
    einerseits die Symptome einer Krise der optimistischen Fortschrittsideologien: sowohl der technologisch-positivisti-schen, die eine bessere Welt mit Hilfe der Wissenschaft aufbauen wollte, als auch der historisch-materialistischen, die eine perfekte Gesellschaft durch revolutionären Eingriff zu schaffen gedachte. Andererseits neigen sie zu einer mythenförmigen Wiedergabe der Tatsache, daß diese beiden Krisen (die in mancher Hinsicht ein und dieselbe sind) sich in sozioökonomisch-politischen Termini ausdrücken, nämlich als Rückkehr zur Ordnung oder als konservative Erstarrung (siehe Fellinis Parabel vom Orchesterdirigenten). Die Massenmedien zeigen durch andere Allegorien dasselbe Problem und akzentuieren die Phänomene der Rückkehr zur Religiosität. Insofern gehören sie, während sie scheinbar nur als Thermometer einen Temperaturanstieg registrieren, in Wirklichkeit selbst zu den Kräften, die das Feuer unter dem Kessel schüren.
    Tatsächlich ist es eher naiv, von einer Wiederkehr oder
    »Revanche« der institutionellen religiösen Formen zu sprechen. Sie waren durchaus nicht verschwunden, man denke nur an

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