Über Gott und die Welt
blindlings folgten, bis in den Tod durch eigene Hand. Unfaßbar, daß eine neochristliche Sekte, inspiriert von einem sanften mystischen Kommunismus, am Ende zu einer Killerbande wird, deren Abtrünnige sich gezwungen sehen, Polizeischutz anzufordern, um nicht ermordet zu werden. Unglaublich, daß brave Rentner und Studenten, Weiße und integrationsbefl issene Schwarze, aus freien Stücken das strahlende Kalifornien verlassen, ein einziges Paradies voller Gärten und linder Frühlingslüfte, um sich in den Dschungel Guayanas zu stürzen, eine einzige Hölle voller Giftschlangen und Piranhas. Unerhört, daß es den Familien der verführten Kinder nicht gelingt, die Regierung zu einer energischen Intervention zu bewegen, und erst am Ende macht der arme Ryan sich auf, die Bescherung zu untersuchen und mit seinem Leben dafür zu bezahlen. Kurzum, alles unglaublich, total verrückt, nicht zu fassen, in was für einer Welt leben wir eigentlich, wo wird das alles noch enden?
Man kann sich tatsächlich wundern, nicht über Jim Jones, sondern über das gute Gewissen der »Normalen«. Die Normalen versuchen krampfhaft, eine Realität zu verdrängen, die sie seit mindestens zweitausend Jahren vor Augen haben. Denn die Geschichte vom »Tempel des Volkes« ist eine alte Geschichte voller Hin und Her und ewiger Wiederkehr. Sie verdrängen zu wollen und vor diesen Dingen die Augen zu schließen, führt dazu, in den Aktionen der Terroristen die CIA oder den KGB
am Werk zu sehen. Ach ja, es wäre so schön, wenn das Böse nur immer von jenseits der Grenzen käme! Das Dumme ist, daß es nicht aus horizontalen Distanzen kommt, sondern aus vertikalen.
Anders gesagt, um gewisse Antworten zu bekommen, muß man Freud und Lacan fragen, nicht die Geheimdienste.
Dabei hätten die amerikanischen Politiker und Journalisten gar nicht einmal die heiligen Texte zur Geschichte der chiliastischen Sekten oder die Klassiker der Psychoanalyse zu lesen brauchen.
Es hätte genügt, die gängigen Thriller im Auge zu behalten. Zum Beispiel fi ndet sich die Geschichte vom Tempel des Volkes in einem der letzten Bücher des großen Schlitzohrs Harold Robbins (Schlitzohr, weil er es immer versteht, seine Romane mit Teilen von Wirklichkeit anzureichern, mal nimmt er die Geschichte von Hefner, mal die von Porfi rio Rubirosa, mal einen arabischen Ölmagnaten). Das fragliche Buch heißt Träume und erzählt von einem gewissen Reverend Sam (der unter anderem stark an den Reverend Moon erinnert). Er hat ein Laboratorium gegründet und läßt sich die Ersparnisse seiner jungen Adepten bringen, um sie in undurchsichtige Finanzspekulationen zu investieren. Er predigt Frieden und Harmonie, initiiert seine Zöglinge in die totale Promiskuität, gründet ein mystisches Camp im Dschungel, wo er strengste Disziplin erzwingt, unter anderem durch Initiationsriten mit Hilfe von Drogen, Foltern und Verfolgungen derer, die zu fl iehen versuchen, und schließlich verschwimmen die Grenzen zwischen Kult, Gangsterismus und Ritualen à la Manson Family bis zur Unkenntlichkeit. Soweit der Roman von Robbins. Doch Robbins erfi ndet nichts, nicht einmal auf der Ebene der roman-haften Kolportage wirklicher Episoden.
Ein paar Jahrzehnte vor ihm schrieb der große Dashiell Hammett seine Stories, zum Beispiel Der Fluch des Hauses Dain, worin es um einen Propheten geht, der einen Gralskult inszeniert, natürlich in Kalifornien, »wie es alle tun«. Es beginnt mit der Anwerbung reicher Leute, deren Besitz eingezogen wird. Der Kult ist durchaus nicht gewalttätig, obwohl die Initiationen (auch hier) mit Hilfe von Drogen und illusionistischen Vorspiegelungen erfolgen (die Inszenierung erinnert unter anderem an die Mysterien von Eleusis). Der Prophet »war eine eindrucksvolle Persönlichkeit … Wenn er einen ansah, fühlte man sich total aus den Angeln gehoben.« Am Ende wird er verrückt und »glaubte, er könnte jetzt alles erreichen … Er träumte davon, die ganze Welt von seiner Göttlichkeit zu überzeugen … Er war ein Verrückter, der seine Macht für grenzenlos hielt.«
Es klingt wie die Aussagen über Jim Jones, die man dieser Tage in der New York Times lesen konnte: »Er war ein außergewöhnlich nobler und sanfter Mensch, eine magnetische Persönlichkeit, er vermittelte uns ein Gemeinschaftsgefühl.« Und der Anwalt Mark Lane versucht zu erklären, wie Jones paranoisch wurde »aus Gier nach absoluter Macht«. Und lesen wir jetzt noch das Buch von Ed Sanders über The Family,
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