Über Gott und die Welt
noch ehe er übersetzt wird (wenn man sich anstrengt, kann man es gerade noch schaffen). Unternehmungen dieser Art kosten Kräfte, gewiß, aber hinterher ist man sehr zufrieden.
Es ist nicht nötig, eine Vestalin des Wissens zu sein, um zu erkennen, daß kulturelle Moden, wenn sie aufkommen und sich verbreiten, Unverständnis, Verwirrung und Mißbräuche stiften.
Wir beklagen die kulturellen Moden. Wer je sich ernsthaft mit einem Thema befaßt hat, das dann später modisch geworden ist, kennt das Unbehagen, das einen befällt, wenn man kein Wort mehr gebrauchen kann, ohne fürchten zu müssen, daß es falsch interpretiert, aus dem Kontext gerissen und nur noch als Banner geschwenkt wird, als Etikett und Erkennungszeichen. Heutzutage kann nicht einmal mehr ein Bauforscher von »Strukturen« sprechen, ohne gleich als modischer »Strukturalist« zu gelten, das alles ist leider nur allzu wahr. Und dennoch steckt in der Indignation über Moden auch etwas Hochmütiges und Arrogantes (dritter Zug im vorgeschlagenen Spiel), das nicht weniger Schaden an-richtet als die Moden.
Kulturelle Moden kommen nicht auf, wenn man eine streng in Klassen geteilte oder streng spezialisierte Kultur hat. Eine Klassenkultur erlaubt, daß Themen und Probleme auf einer Ebene zirkulieren, die den Massen unerreichbar ist: Der Geschmack des Duc de Berry erzeugt keine Mode, schon weil er sich nur in einer einzigen Handschrift niederschlägt, und niemandem fällt es ein, die Stundenbilder auf Schals für Minirockträgerinnen zu drucken.
Eine spezialisierte Kultur verteidigt sich durch ihre
Unzugänglichkeit. Das Wort »Relativität« hat noch eine gewisse Welle ausgelöst, die Theorie der Maxwellschen Gleichungen nicht.
Das Problem der Moden entsteht immer dann, wenn die kulturelle Gegebenheit aus verschiedenen Gründen von der Spitze zur Basis durchsickert, befördert durch breitere Divulgationstechniken (womit jede Verbreitungstechnik gemeint ist, vom Plakat über die Presse bis zum Fernsehen). Die Verbreitung rekrutiert neue Teilnehmer an der Kultur, um sie in die Spezialisierung einzuführen, doch sie bezahlt diese Rekrutierung mit einem gewissen Maß an Vergeudung und Verschleiß: Die Termini und Begriffe, die sie in Umlauf bringt, gehen durch zu viele Hände, um unbeschädigt wieder an die Spitze der Pyramide zurückzukehren.
Zugleich erzwingt das Übermaß an Spezialisierung einen Ansatz zur Interdisziplinarität. Interdisziplinarität bedeutet Kontakt und Verständnis zwischen Menschen, die in verschiedenen Fächern oder Bereichen der Spezialisierung arbeiten. Der Kontakt erfolgt auf zweierlei Weise: Zunächst muß der Spezialist eines Faches dem Spezialisten eines anderen Faches die Bedeutung seiner Termini und die Grenzen ihres Geltungsbereichs erklären; dann müssen beide versuchen, die jeweils im eigenen Fach- und Sprachbereich geltenden Elemente in Termini zu übersetzen, die sich dem Fach-und Sprachbereich des anderen assimilieren lassen. Bei dieser Arbeit des Umgießens (an der eine ganze Kultur mitarbeitet) geht viel daneben und fl ießt auf den Boden. Die Übersetzungsversuche erzeugen übereilte Metaphern, Mißverständnisse und forcierte Jagden nach scheinbarer Modernisierung. Wie die vertikale Verbreitung von der Spitze zur Basis produziert auch die horizontale von einem Sektor zum anderen Infl ation.
Doch wenn dem so ist, dann sind die kulturellen Moden die unvermeidliche Konsequenz einer Dynamisierung der Kultur.
Im gleichen Maße, wie eine Kultur lebendig ist, bemüht um permanente Revision und Kommunikation zwischen ihren verschiedenen Stufen, produziert sie für jeden Aspekt, in dem sie sich exponiert, eine Mode. Und diese Moden entstehen keineswegs nur als Bodensatz, als Abfall- und Randprodukt des authentischen kulturellen Prozesses, sondern sie bilden zugleich seinen Dünger und seinen Nährboden. Denn Übergabe und Übernahme von
Wissen erfolgen nicht nach Kriterien der absoluten Reinheit, wer die Lehren anderer übernimmt oder sich in eigene Termini übersetzt, geht häufi g erst einmal durch das Vorfeld der kulturellen Moden und nimmt ein Problem zunächst unkorrekt wahr, bevor er es richtig erfaßt. Die kulturellen Moden sind für den Fortschritt einer Kultur so essentiell, daß diese oft nur durch den Anreiz der Mode ihre künftigen Führer rekrutiert.
Daher muß sich eine Kultur angesichts der Moden, die sie erzeugt, nicht so sehr das Problem ihrer Unterdrückung stellen als vielmehr das ihrer Kontrolle.
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