Über Gott und die Welt
Die Arbeit einer Kultur besteht nicht nur in der Produktion von spezialisiertem Wissen, sondern auch von spontanem und verbreitetem Wissen; und – was die Kritik der Auswüchse des spontanen Wissens betrifft – nicht nur darin, sie zu unterdrücken, sondern auch Verbindungen herzustellen, Gelegenheiten zu fördern und neues Fachwissen daraus hervor-zutreiben in einer mehr oder minder geordneten Bewegung, in welcher das Mißverständnis nicht selten zum Glücksfall wird.
Eins jedenfalls ist sicher: Eine Kultur, die keine Moden erzeugt, ist eine statische Kultur. Es gab und gibt keine Moden in der Kultur der Hopi oder der Aloresen. Denn es gibt in ihr keinen Fortschritt. Die kulturellen Moden sind die Wachstumsakne des kulturellen Fortschritts. Wenn sie zu heftig unterdrückt werden, bilden sich nur um so schneller neue. Und dann wird die kulturelle Mode als Dauermodell zum sichtbarsten Ausdruck jener Kultur, die sich als Kultur der Rasch Wechselnden Moden darstellt. Dies genau ist heute unser Problem. Wir müssen uns keine Sorgen machen, weil es kulturelle Moden gibt, sondern weil sie zu schnell überwunden werden.
Die französische Kultur, die reifer als die italienische ist, er-trägt die strukturalistische Mode seit zehn Jahren bestens, ohne sich ihrer zu schämen, obwohl sie ihre Auswüchse kennt. Was in unserer Kultur besorgniserregend ist, sind nicht die zahllosen Dummköpfe, die bei jeder Gelegenheit vollmundig von
»Struktur« reden, auch wenn es am wenigsten paßt, sondern das Bewußtsein, daß man mit diesen Dummköpfen sehr bald allzu radikal aufräumen wird. Die Unterschätzung der Bakterienfunktion (im botanischen Sinne) der Dummköpfe ist ein Zeichen von kultureller Unreife.
Andererseits, wenn eine Kultur, die keine Moden erzeugt, eine statische ist, ist eine Kultur, die ihre Moden unterdrückt, eine reaktionäre. Der erste Zug aller Konservativen besteht immer darin, die Neuheit als Mode abzustempeln: so schon Aristophanes mit dem Sokratismus, so Cicero mit den Cantores Euphorionis, und so immer weiter bis zu den Indignationen unserer heutigen Saubermänner Papinianischen und Giuliottianischen Gedenkens.
Wenn eine Mode lange anhält, stellt sie die Strenge, die sie genommen hat, in anderer Form wieder her. Die Gefahr ist, daß sie zu kurz anhält.
(1967)
Kultur als Spektakel
Ende der siebziger Jahre, während man sich in Theorien über einige schon leicht betagte Neuerungen erging, erhoben sich erste verblüffte Fragen über andere, wenn man so sagen kann, neuere Neuerungen. Die älteren Neuerungen betrafen eine spürbare Evolution im Begriff des Schauspiels: ein Phänomen der sechziger Jahre. Langsam waren die Zuschauermassen, und nicht nur die jugendlichen, aus dem Gehege der Schauspielhäuser ins Freie hinausgeströmt – zuerst das Theater am Straßeneck Brechtschen Gedenkens und sein jüngerer Bruder, das Straßentheater, und die Happenings, dann die Feste, das Theater als Fest und das Fest als Theater … Alles Themen, über die es inzwischen eine breite theoretische Literatur gibt, und theoretische Literatur pfl egt bekanntlich die unerwarteten Neuerungen (die so unerwartet dann nicht mehr sind), wenn nicht totzuschlagen, so doch zumindest
»respektabel« zu machen. In einer Zeit, da Feste zum Gegenstand der Kommunalverwaltung geworden sind und eine ganze Stadt in ihren weniger »marginalen« Schichten erfassen (und gerade denen, die sie an den Rändern improvisiert hatten, aus den Händen geglitten sind), werden wir nicht so snobistisch sein zu behaupten, sie hätten nun alle Würze verloren, aber zweifellos sind sie zu einer »Gattung« geworden wie der Kriminalroman, die klassische Tragödie, die Symphonie oder der »Gesellschaftstanz«.
Und angesichts der Fülle von neuen ästhetischen, soziologischen und semiotischen Theorien über das Fest gibt es nichts mehr zu sagen.
Das verwirrende Novum trat indes mit dem Aufkommen einer Erscheinung hervor, die mehr oder weniger boshaft »Kultur als Spektakel« genannt worden ist.
Der Ausdruck klingt zweideutig – als wären »spektakuläre«
Theaterfestivals oder Konzerte im Freien keine Kultur. Aber da man bei uns auch nach Jahrzehnten ständig verfeinerter und vertiefter Kulturanthropologie (die uns gelehrt hat, daß sogar die Positionen beim Darmentleeren zur materiellen Kultur einer Gemeinschaft gehören) noch immer geneigt ist, von Kultur nur zu sprechen, wenn es um »hohe« Kultur geht (um anspruchsvolle Literatur, Philosophie,
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