Über Gott und die Welt
derselbe Leser dann abends mit Freunden zu einer Diskussion über Platon geht statt in die Disko … Aber vielleicht ist dem Konservativen schwer begreifl ich zu machen, daß »Spektakularisierung« nicht unbedingt Intensitätsverlust, Unaufmerksamkeit und »fl atterhaf-tes Obenhin« heißen muß. Es handelt sich lediglich um eine andere Lebens- und Umgangsweise mit der kulturellen Debatte.
Ihre ersten Symptome sind neuerdings ein bißchen überall in Italien zum Vorschein gekommen. Vielleicht ist es nur ein vorübergehendes Phänomen. Sollte es anhalten, wird mit der gleichen Unvoreingenommenheit wie bisher zu untersuchen sein, was daraus werden könnte, wenn es ähnliche Grade an institutionalisierter Kulturspektakelhaftigkeit erreicht wie heute in den Vereinigten Staaten.
Dort werden nicht nur Kongresse für Spezialisten und fach-lich Interessierte organisiert, sondern häufi g auch Tagungen, Symposien, kulturelle Wochen für jedermann über alle möglichen Themen, von der Religion bis zur Literatur und zur Makrobiotik, mit Werbung in Tageszeitungen und gesalzenen Eintrittspreisen.
Die Organisation zahlt das Nötige, um sich berühmte Namen zu sichern, und das Ereignis läuft ab wie eine große Show. Uns mag davor grausen. In manchen Fällen muß uns davor grausen.
Ich erinnere nur an The Event, 1978, organisiert von Jerry Rubin, dem einstigen Helden der Revolte von 68 und späteren Hippie-Leader.
The Event dauerte von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts und versprach eine »Extravaganz der Selbsterfahrung« mit Ausstellungen, Diskussionen, Vorträgen über Zen-Buddhismus, Makrobiotik, transzendentale Meditation, sexuelle Techniken, Jogging, Entdeckung des in uns verborgenen Genies, Kunst, Politik, diverse Religionen und Popularphilosophie. Unter den
»Stars« waren der schwarze Komiker Dick Gregory, die Sexologen Masters und Johnson, der prophetische Architekt Buckminster Fuller, Erweckungs- und Sektenprediger, Prominente von Film und Fernsehen. Eintrittspreise in astronomischer Höhe, Anzeigen in den großen Blättern, Verheißungen höchsten Glückes und tiefster Erkenntnisse für die eigene innere Evolution, Stände mit vegetarischer Kost, Büchern über orientalische Weisheiten und Prothesen für die Geschlechtsorgane. Was zum Grausen war an der Sache, war ihre Konzeption nach Art einer Music Hall, für ein baff staunendes Publikum. Es gab keine aktiv par-tizipierende Teilnahme, jedenfalls kamen die Teilnehmer nicht in Kontakt miteinander. Das Kulturspektakel war konzipiert wie eine Bar für alleinstehende Männer und Frauen (dabei trifft man sonst in Amerika gar nicht selten auf Anzeigen höchst seriöser Konzertveranstalter, in denen extra darauf hingewiesen wird, daß die Pause ein idealer Ort sei, um die geistesverwandte Seele zu fi nden).
Wenn das Kulturspektakel diesen Weg gehen muß, haben wir keinen Anlaß zur Freude. Aber nicht, weil dann die »Kultur« zum Spektakel verkommt, sondern weil es sich dann um »Spektakel«
im schlimmsten Sinne des Wortes handelt: falsches Leben, dargestellt auf der Bühne, damit die stummen und sprachlosen Zuschauer glauben, sie lebten durch andere.
Dies sind freilich Degenerationen einer Gesellschaft, die man nicht zufällig die »des Spektakels« genannt hat. Es ist nicht gesagt, daß die Kultur als Spektakel, von der hier die Rede war, das Produkt einer Gesellschaft des Spektakels sein muß. Sie könnte im Gegenteil deren Alternative sein: eine Art und Weise, den organisierten Spektakeln zu entfl iehen, um sich andere zu schaffen.
In diesem Sinne: starke Nerven. Und weiter hinsehen.
( La Società-Quaderni, 2, April-Mai 1980)
Das Sportgerede
Es gibt etwas, das – selbst wenn sie es für notwendig hielte – keine Studentenbewegung, Stadtrevolte, Fundamentalopposition oder wie immer jemals wird tun können. Nämlich sonntags ein Sportfeld zu stürmen.
Schon der Vorschlag klingt unseriös und absurd, man versuche nur einmal, ihn spaßeshalber zu machen, und man wird ausgelacht; man mache ihn ernsthaft, und man gilt als Provokateur. Und dies nicht nur aus dem evidenten Grund, daß eine Studentenmenge schon mal die Jeeps einer Polizei mit Molotowcocktails angreifen kann, was dann schlimmstenfalls einige vierzig Tote kostet (zur Verteidigung der Gesetze, der nationalen Einheit, der Autorität des Staates), während der Angriff auf ein Sportstadion zweifellos ein Massaker auslösen würde, dem keiner der Angreifenden entkäme, ein wahl- und gnadenloses
Weitere Kostenlose Bücher