Über Gott und die Welt
»politische« Ebene. Tatsächlich hat das Gerede über das Sportgerede alle Merkmale des politischen Redens (zumal des Stammtischpalavers): Man beredet, was die Regierenden hätten tun sollen, was sie getan haben, was man wünscht, daß sie täten, was geschehen ist und was geschehen wird – nur ist der Gegenstand nicht das Gemeinwesen (und die Korridore im Regierungspalast), sondern eben das Stadion mit seinen Kulissen. So ist dieses Gerede scheinbar die Parodie der politischen Diskussion, doch da sich in dieser Parodie alle Kräfte entladen und erschöpfen, die dem Bürger für die politische Diskussion zur Verfügung stehen, ist das Gerede in Wirklichkeit der Ersatz 17der politischen Diskussion, ja, es wird selbst zur politischen Diskussion, da es ihren Platz so vollständig besetzt, daß ihr danach kein Raum mehr bleibt. Und da sich, wer über Sport diskutiert, wenn er nicht wenigstens das täte, möglicherweise bewußt würde, daß er ein gewisses Maß an brachliegender Urteilskraft, verbaler Aggressivität und politischer Streitlust hat, die er irgendwie nutzen sollte, überzeugt ihn das Sportgerede davon, daß er diese Energien zu einem bestimmten Zweck eingesetzt und verausgabt hat. Der Zweifel legt sich, der Sport erfüllt wieder seine Rolle als falsches Bewußtsein.
Da zudem das Gerede über den Sport beim Redenden die
Illusion erzeugt, er sei am Sport interessiert, vermischt sich der Begriff des Betreibens von Sport mit dem des Beredens von Sport: Der Redende hält sich für sportlich und merkt überhaupt nicht mehr, daß er gar keinen Sport betreibt. Sowenig wie er noch merkt, daß er es gar nicht mehr könnte, da ihn die Arbeit, die er tut, wenn er nicht über Sport redet, viel zu sehr auslaugt, als daß er noch Kraft und Zeit zum Sporttreiben hätte.
Das Gerede, um das es hier geht, ist somit eben jenes, dessen Funktion Heidegger in Sein und Zeit behandelt hatte: »Das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache. Das Gerede behütet schon vor der Gefahr, bei einer solchen Zueignung zu scheitern. Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indifferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist … Hierzu bedarf es nicht einer Absicht auf Täuschung. Das Gerede hat nicht die Seinsart des bewußten Ausgebens von etwas als etwas … Das Gerede ist sonach von Hause aus, gemäß der ihm eigenen Unterlassung des Rückgangs auf den Boden des Beredeten, ein Verschließen.«18
Gewiß, Heidegger dachte nicht an eine totale Negativität des Geredes: Das Gerede ist die alltägliche Weise, in der wir von der präexistenten Sprache gesprochen werden, statt sie uns zu Zwecken des Verstehens und Entdeckens herzurichten. Und es ist ein normales Verhalten. Doch dem Geredeten »liegt daran, daß es geredet wird«, und hier sind wir bei jener Funktion der Sprache, die für Jakobson die »phatische« oder Kontaktfunktion ist. Am Telefon (wenn wir mit »ja, nein, sicher, gut« antworten) oder auf der Straße (wenn wir jemanden mit »wie geht’s« begrü-
ßen, dessen Wohlergehen uns nicht interessiert, was er auch weiß, weshalb er nur knapp »gut, danke« erwidert) führen wir phatische Reden, die unentbehrlich sind, um eine Verbindung zwischen den Sprechenden herzustellen. Doch diese phatischen Reden sind eben deswegen unentbehrlich, weil sie uns die Möglichkeit zu weitergehender Kommunikation offenhalten, also zum Austausch anderer und substantiellerer Mitteilungen. Wenn ihre Funktion sich verselbständigt, haben wir einen Dauerkontakt ohne jede Botschaft – wie ein Radio, das angeschaltet, aber nicht eingestellt ist, so daß nur ein Grundrauschen und ein paar Krächzer ertönen, die uns zwar anzeigen, daß wir in einer gewissen Kommunikation mit irgendwas sind, aber aus denen wir nichts erfahren.
Das Gerede wäre somit die zum Selbstzweck gewordene phatische Rede. Aber das Sportgerede ist noch etwas mehr, nämlich eine phatische Dauerrede, die sich trügerisch als eine Rede über das Gemeinwesen und seine Ziele ausgibt.
Entstanden als Erhebung in die n-te Potenz jener anfänglichen (und vernünftigen) Energieverschwendung, die das sportliche Spiel einmal war, ist das Sportgerede nun die Verherrlichung der Verschwendung an sich und folglich der Gipfel des verselbstän-digten Konsums. Mit ihm und in ihm konsumiert der Mensch der Konsumgesellschaft sich selbst (und zugleich jede Möglichkeit
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