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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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hat: der inflationäre Gebrauch des Wörtchens »sozusagen« durch den größten Teil aller sogenannten gebildeten Menschen. Gerade auch unter Philosophen ist das Ausmaß dieses Gebrauchs schon grotesk geworden. Und er ist inzwischen auch in den Medien angelangt und zu Ladenverkäuferinnen durchgedrungen. Er beschränkt sich auch nicht mehr darauf, gegenüber irgendeiner These eine gewisse Vorsicht zum Ausdruck zu bringen. Wenn man drei Sätze lang dieses Wort nicht mehr benutzt hat, kann man es nicht mehr zurückhalten und sagt notfalls sogar: »Heute regnet es sozusagen.«

    Wären Sie zur selben Einstellung gelangt, wenn Sie zum Beispiel in einem liberalen Elternhaus aufgewachsen wären?
    In einer Gegenwelt zu leben wäre mir wohl mit einer liberalen Erziehung schwerer gefallen. Denn dazu bedarf es einer fundamentalen Überzeugung, wie es für mich die Welt des christlichen Glaubens darstellte, die mir in der frühkindlichen Prägung durch meine Mutter und später durch meinen Vaterzwanglos vermittelt wurde. Worum ging es bei meiner Erziehung? Die erste Frage im katholischen Katechismus lautete damals: »Wozu sind wir auf Erden?« Meine spätere Frau beantwortete die Frage: »Damit wir lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.« Das sagt auch der Katechismus, nur dass er noch dazusagt, was das Wichtigste ist. Diese Unterscheidung wird am besten gelernt, wenn gute Eltern einen jungen Menschen auf kind- und jugendgemäße Weise teilnehmen lassen an dem, was ihnen selbst wichtig ist. Und das taten meine Eltern. Wichtig ist, was immer ist. Was immer ist, heißt: »Gott«. »Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Alles Übrige wird euch nachgeworfen werden«, lautet ein Jesuswort. Die Freunde der Familie – darunter vor allem Künstler – waren überwiegend Leute, denen dasselbe wichtig war. Dazu gehörte das Leben in und mit der Kirche. Und Vergegenwärtigung des Wichtigen in der Liturgie der Kirche, die damals schön und unter aktiver Teilnahme der Gemeinde gefeiert wurde. Das gehörte zu den Selbstverständlichkeiten in meinem Elternhaus. Man definierte sich nicht primär als politischen Gegner des NS-Regimes. Man gehörte eben einfach einer anderen Welt an. Mein Vater war eher unpolitisch, auch in jungen Jahren, als er die Sparte »Film, Ballett und Varieté« im Feuilleton der »Sozialistischen Monatshefte« betreute. Meine Mutter war der Politik ebenso wenig zugeneigt. Als ich als Kind einmal das in der Schule eingeübte Lied »Deutsch ist die Saar« vorsang – damals stand die sogenannte Rückholung des Saargebiets in das Deutsche Reich bevor – und schließlich die Stelle »Lasst uns in den Himmel schrei’n, wir wollen immer Deutsche sein« zum Besten gab, machte meine Mutter ein indigniertes Gesicht und meinte: »In den Himmel schreit man nicht.«
    Ihre Eltern konvertierten zum katholischen Glauben. Aus welchen Gründen?
    Der unmittelbare Anlass zu einer Neuorientierung im Leben war der Blutsturz meiner Mutter. Von da an hatte sie jahrelang mit der Tuberkulose zu kämpfen, an der sie dann auch 1936 starb. Der Schock über die Erkrankung veranlasste meine Eltern, über ihr Leben nachzudenken. Bei meinem Vater kamen noch intellektuelle Einflüsse hinzu. Wie er mir später erzählte, gab ihm die Lektüre Rousseaus einen wichtigen Impuls. Er ging auf Distanz zur Großstadtkultur, zum Berliner Kunstleben, in dem er und meine Mutter bis dahin gelebt hatten. Sie begannen zu zweifeln. Besonders beeindruckt hat meinen Vater damals auch der Briefwechsel zwischen Jacques Maritain und Jean Cocteau. 1930 traten dann meine Eltern der katholischen Kirche bei. Um auch einen äußeren Wechsel der Lebenswelt vorzunehmen, zogen sie 1932 nach Münster. Dort studierte mein Vater bei dem Kunsthistoriker Martin Wackernagel, nachdem er zuvor schon bei Heinrich Wölfflin studiert hatte. Durch Wackernagel lernte er die Benediktinerabtei in Gerleve in Westfalen kennen. Die Begegnung mit diesem Kloster, das Erlebnis der Mönchsliturgie, hat ihn, wie er später erzählte, stark beeindruckt. Noch ein anderes Erlebnis kam hinzu, das Chorgebet der Domherren im Dom zu Münster: Lauter gestandene Männer in wichtigen kirchlichen Leitungsfunktionen versammeln sich zum Chorgebet. Alle haben Wichtiges zu tun, aber das Chorgebet ist ihnen noch wichtiger. Dieser Maßstab für das, was wirklich wichtig ist, hatte es ihm angetan. Natürlich sangen die Domherren nicht so schön wie die Benediktinermönche im Kloster

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