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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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Gymnasiums in kleinstem Kreise äußern, das Attentat habe scheitern müssen. Die Niederlage Deutschlands hätte es nicht mehr aufhalten können. Aber es hätte den Grund gelegt für eine neue Dolchstoßlegende. Das Volk hätte die Schuld an der Niederlage und an allem Elend in ihrem Gefolge den Attentätern zugeschoben und Hitler zum Märtyrer gemacht.
    Übrigens war dieser Direktor, Dr. Feil, Parteimitglied und sonderte an nationalen Feiertagen, an denen er vor versammelter Schule zu reden hatte, so plumpe Sprechblasen ab, dass kaum jemand annehmen konnte, diese Phrasen hätten irgendetwas mit ihm zu tun. Sie hatten nichts mit ihm zu tun. Er war eben kein Held.
    Aber er hat mir einmal das Leben gerettet. Das war im Frühjahr 1944. Das Gymnasium Petrinum in Dorsten in Westfalen, das ich damals besuchte, teilte sich die Räume mit dem Dorstener Mädchengymnasium. Vormittags die Buben,nachmittags die Mädchen. An einem Vormittag ging ich während der Pause in den Zeichensaal, zeichnete an die Tafel eine Hitlerkarikatur, schrieb darunter: »Achtung! Totengräber Deutschlands!« und verließ unbemerkt den Saal.
    Am Morgen des nächsten Tages verzögerte sich der Unterrichtsbeginn wegen einer improvisierten Lehrerkonferenz. Vom Hausmeister erfuhr ich, im Zeichensaal habe sich ein schlimmer Vorfall ereignet, über den er schweigen müsse, aber über den gerade beraten werde. Mir war klar, worin dieser Vorfall bestand. Die Sache endete indessen wie das Hornberger Schießen. Kurz nach Ende des Krieges erfuhr ich, was geschehen war. Der Direktor, den ich damals auf der Straße traf, sprach mich an: »Sagen Sie mal, Spaemann, das waren doch Sie damals im Zeichensaal, das Führerbild und so weiter.« Ja, gewiss, ich war’s.
    Dass ich noch lebe und nicht stattdessen eine Straße nach mir heißt, kam so: Die Zeichenlehrerin der Mädchen entdeckte das Bild und holte die Direktorin, eine echte Nationalsozialistin, die sofort den Direktor anrief, ihn herbeizitierte, ihm die Tafel zeigte und verlangte, umgehend die geheime Staatspolizei herbeizurufen, um den Täter ausfindig zu machen. Der Direktor nahm daraufhin einen Schwamm und wischte das Corpus delicti aus, ehe sich’s die Dame versah, die empört etwas von Strafvereitelung sprach. Der Direktor fuhr sie an: »Frau Kollegin, ich kann nicht zulassen, dass unsere und Ihre Schüler dieses bösartige Produkt der Feindpropaganda zu Gesicht bekommen. Sofort weg damit!«
    Wie war der Direktor auf mich als Täter gekommen? Er hatte auf meinem Platz in der Klasse unverfängliche Karikaturen ähnlicher Machart entdeckt und daraus seine Schlüsse gezogen. Ohnehin hätte er auf mich getippt. Übrigens verlor Dr. Feil ein Jahr später durch die Entnazifizierung sein Amt.Die Direktorin nicht. Sie sank viele Jahre später, ausgezeichnet mit staatlichen und kirchlichen Orden, ins Grab.
    Mein Elternhaus war unpolitisch. Dass die Nationalsozialisten die Bösen und die geheime Staatspolizei der Feind war, bedurfte keiner Worte. Es gehörte zu den Hintergrundüberzeugungen, mit denen ich aufgewachsen bin und die sich mir empirisch nur bestätigten. Ich kannte damals keine sympathischen Nationalsozialisten, wohl aber sympathische Menschen, die von den Nationalsozialisten verhaftet, gedemütigt oder beruflich benachteiligt wurden.
    Außerdem gab es sympathische Opportunisten, wie den Vater meines Jugendfreundes, der mit der Parteimitgliedschaft die Anstellung als Chef einer wichtigen städtischen Behörde bezahlte, obwohl er die Nationalsozialisten ebenso verabscheute wie der Vater der siebenköpfigen Kölner Familie, die mich – meine Mutter war gestorben – während des Theologiestudiums meines Vaters drei Jahre lang als »Pflegesohn« aufgenommen hatte. Der Mann blieb von 1933 bis 1945 Inspektor bei der Stadt Köln und wurde, weil er sich weigerte, der Partei beizutreten, von jeder Beförderung ausgeschlossen. Natürlich sah man in dieser Familie mit einer milden Verachtung auf die opportunistischen, gleichfalls praktizierend katholischen Nachbarn herab. Aber niemand hinderte mich daran, in dieser Nachbarsfamilie meines Freundes freundschaftlich aus- und einzugehen.
    Den Heldentod wollte ich auch nicht sterben. Aber ebenso wenig den Tod als Soldat des Führers in einem Krieg, der dessen Herrschaft über Europa für lange Zeit zementieren sollte. Ich hoffte zunächst, dass mir die Entscheidung darüber erspart bliebe durch das Ende des Krieges vor meiner »Wehrmündigkeit«.
    Unterdessen
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