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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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herausgearbeitet hat.
    Wie bezieht sich das Wohlwollen auf den Anderen?
    Wie gesagt, das Wohlwollen kann verschiedene Stufen haben. Das Wohlwollen gegenüber einem fremden Menschen, mit dem ich gar nichts zu tun habe, besteht zunächst einmal darin, dass ich ihn nicht schädige. Ich kann in der Verfolgung meiner Zwecke nicht einfach über seine Zwecke hinweggehen. Im wirtschaftlichen Leben gibt es allerdings häufig den Fall, wo die Eule des einen die Nachtigall des andern ist. Aber auch im Konkurrenzkampf ist nicht jedes Mittel erlaubt.
    Der Philosoph Peter Singer ist der Meinung, wenn zwei Kinder ins Wasser fallen und ich nur ein Kind retten kann, dann dürfe ich nicht zuerst mein Kind retten, weil es das meine ist, sondern ich müsse mich fragen, welches Kind das begabtere ist, und welches mehr Lebensfreude zu erwarten hat. Das wichtigere Kind solle zuerst gerettet werden. Das mag nun ein Gesichtspunkt für einen Dritten sein, der mit den beiden Kindern nichts zu tun hat. Er braucht ja irgendein Kriterium. Aber derjenige dessen eigenes Kind ins Wasser gefallen ist, stellt sich diese Frage nicht. Er wird sein Kind zuerst retten.
    Wohlwollen ist gestuft. Ich muss jedem Menschen wohlwollen, aber nicht im gleichen Maße. Die Utilitaristen wollen Gott spielen und von einem übermenschlichen Gesichtspunkt aus das
bonum universi
bedenken.
    Bei Thomas von Aquin bin ich auf ein Beispiel gestoßen, das ich oft erwähne. Er sagt, die Verpflichtungen der Menschensind verschiedene, und nennt den Fall eines Verbrechers, der einen Mord begangen hat und vom König gesucht wird. Es ist die Pflicht des Königs, den Mann zu erwischen und zu bestrafen. Die Pflicht der Frau des Verbrechers ist es aber, ihrem Mann zu helfen, wenn er sich verstecken will.
    Wie würde Sokrates oder Platon in diesem Fall urteilen?
    Sie denken totalitärer. Die Pflicht der Frau des Verbrechers würden sie nicht anerkennen. Es darf kein Ansehen der Person geben. Thomas dagegen betont, die Frau habe sich um das
bonum
der Familie zu sorgen. Es gibt aber für beide eine Grenze: Der König muss respektieren, dass die Frau eine andere Pflicht hat. Er als der König darf sie nicht bestrafen, weil sie ihren Mann versteckt hat. Das ist in unserer Rechtsordnung übrigens allgemein anerkannt. Sie sieht das Aussageverweigerungsrecht im Falle der Strafverfolgung vor, wenn es sich um einen nahen Angehörigen handelt. Das ist antitotalitär. Es erkennt den
ordo amoris
an.
    Aber die Frau des Verbrechers darf nicht zur Terroristin werden. Auch Antigone in der gleichnamigen Tragödie des Sophokles bringt Kreon nicht um und ruft auch nicht dazu auf, ihn zu ermorden. Sie muss respektieren, dass er seine Aufgabe erfüllt. Kreon wiederum müsste respektieren, dass Antigone die Pflicht hat, ihren Bruder zu begraben. Die Menschen tragen verschiedene Verantwortlichkeiten, die sich auch gegenseitig im Wege stehen können. Dramatisch kann es werden, wenn ein Richter seinen eigenen Sohn verurteilen muss, der Fall Brutus bei Plutarch. Aber auch dem beugt unsere Rechtsordnung vor. Der Richter kann und soll sich in solchen Fällen für befangen erklären.
    Unsere Verantwortung ist gestuft. Aber es gibt eine elementare Verantwortung, die alle Mitglieder der Menschheitsfamilie füreinander tragen. Mich beeindruckt immer, wie inder Bibel vom ersten Mord, einem Brudermord, berichtet wird. Gott verdächtigt den Kain zunächst nicht des Mordes, sondern fragt:
    »Wo ist dein Bruder Abel?«
    Er erwartet von Kain offenbar, dass dieser weiß, wo sein Bruder ist. Und gerade das weist Kain von sich:
    »Bin ich denn der Hüter meines Bruders?«
    Gott geht offenbar davon aus, dass er sehr wohl der Hüter seines Bruders ist. Er erwartet von ihm nicht nur Achtung, sondern Solidarität. Solidarität entspricht nicht der liberalen Vorstellung von sittlicher Verantwortung. Wenn es nach ihr geht, ist jeder Mensch sein eigener Hüter und muss nicht wissen, wo sein Bruder ist. Aber eben dies erwartet Gott im Buch Genesis.
    Im Dritten Reich, als die Juden plötzlich alle verschwanden, nachdem sie sich vorher durch einen gelben Stern kenntlich machen mussten, hat es mich erschreckt, dass kaum ein Erwachsener fragte, wo sie sind.
    Ein Journalist versuchte vor Jahren, seinen Lesern den Gegensatz von Liberalen und Kommunitariern in Amerika zu erklären. Er schrieb, unter einem Kommunitaristen müsse man sich so jemanden wie den Spaemann vorstellen. Das war nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig, weil ich

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