Ueber Gott und die Welt
– im Unterschied zu den Kommunitaristen – am universalistischen Gedanken der Menschenrechte festhalte, allerdings mit der nicht aufzuhebenden klaren Unterscheidung zwischen Menschen- und Bürgerrechten, wobei es ein Menschenrecht ist, irgendwo Bürgerrechte zu haben. Aber deswegen bin ich doch kein Liberaler, der nur jeden nach seiner Façon selig werden lässt, ohne sich dafür zu interessieren, ob er wirklich selig wird. Liberale sind auch keine Freunde von Missionierung.
Von Goethe stammt die Feststellung: »Wenn ich von liberalen Ideen reden höre, so verwundere ich mich immer, wiedie Menschen sich gern mit leeren Wortschällen hinhalten: Eine Idee darf nicht liberal sein! Kräftig sei sie, tüchtig, in sich selbst abgeschlossen, damit sie den göttlichen Auftrag, produktiv zu sein, erfülle.«
Lehnen Sie die Mission mit dem Schwert ab?
Selbstverständlich. Aber ich lehne es nicht ab, Menschen zu dem zu überreden, was ich für ihr Bestes halte. Nehmen Sie an, ein Freund von Ihnen leidet an einer schweren Krankheit und Sie kennen ein Medikament – oder glauben ein Medikament zu kennen –, das ihm wirklich durchschlagend helfen kann. Würden Sie nicht alles versuchen, ihn zu überreden und nicht locker lassen in Ihrem Zureden: »Wenn du das Mittel nicht einnimmst, ist es dein Ende. Bitte nimm es.« Das heißt, Sie würden sich verhalten als Hüter Ihres Bruders, wenn auch ohne Zwang. Oder? Ich denke, wenn Sie das nicht täten, wären Sie kein guter Freund.
Der Liberalismus ist indifferent gegenüber Inhalten. Fragen nach dem guten Leben schiebt er in den sogenannten Wertebereich ab. Werte aber hält er für relativ, um dann jedoch umso vehementer zu verteidigen, was er »unsere Werte« nennt.
Würde der Liberalismus so ein engagiertes Zureden ablehnen?
Die 68er versuchten damals, ihre Kommilitonen auf die verschiedensten Arten zu nötigen, sich ihre Propaganda anzuhören. Gegen den Willen der großen Mehrheit der Studenten funktionierten sie einfach Vorlesungen um zu Propagandaveranstaltungen; wenn man sich den Zwang verbat, war ihr Argument, dass die Leute ja noch nicht aufgeklärt seien über das, worum es ging. Und zu dieser Aufklärung müsse man sie zwingen.
Es gehört aber zu den Menschenrechten, dass genauso wie jemand versuchen darf, andere zu überreden, diese anderen das Recht haben, sich dieser Belehrung zu entziehen. Es gibt heute Abtreibungsgegner, die in der Nähe von Abtreibungskliniken Frauen, die dorthin gehen, ansprechen und ihnen ihre Absicht auszureden suchen. Diese Versuche werden heute vielfach gerichtlich unterbunden. Zu Unrecht. Menschen, die der Meinung sind, dass hier massenhaft Tötung von Menschen stattfindet, haben das Recht zu versuchen, andere davon abzuhalten. Allerdings ist es genauso das Recht der angesprochenen Frauen zu erklären, dass sie ein Gespräch über diesen Gegenstand nicht wünschen. Und dann ist das Gespräch zu Ende.
Die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist bei uns inzwischen so weit gediehen, dass in skandinavischen Ländern und in Großbritannien Prediger bestraft werden, wenn sie sich die biblische Beurteilung der Homosexualität zu Eigen machen. Solange es jedermanns Recht ist, die Kirche während einer solchen Predigt zu verlassen, ist es doch das Recht des Predigers, sie zu halten, und das Recht der Gläubigen, in der Predigt über die biblische Lehre unterrichtet zu werden. Wozu gehen sie schließlich sonst in einen christlichen Gottesdienst?
Es ist heute eine weit verbreitete Vorstellung, so etwas wie Wahrheitsüberzeugungen seien für die Toleranz schädlich. Im Namen der Toleranz wird Relativismus verlangt. Aber das ist ganz abwegig. Die Pflicht zur Toleranz gründet selbst in der festen Überzeugung von der Würde der Person. Aus ihr ergibt sich die Achtung vor religiösen und moralischen Überzeugungen anderer. Die heute wachsenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit gründen nicht darin, dass vom Mainstream abweichende Meinungen falsch sind, sondern dass sie dem Mainstream widersprechen.
Der konsequente Relativist muss nicht tolerant sein – er kann sagen: Es ist alles relativ, und ich dulde keine anderen Meinungen. Ich unterdrücke sie nicht, weil sie unwahr sind, sondern weil sie nicht das ausdrücken, was ich meine. Die Haltung, die der Toleranz zugrunde liegt, ist ja selbst eine bestimmte Wahrheitsüberzeugung; wo es sie nicht gibt, kann sich jede Macht herausnehmen, Dissidententum zu unterdrücken – nicht weil es falsch ist,
Weitere Kostenlose Bücher