Über Himmel und Erde: Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka - Das persönliche Credo des neuen Papstes (German Edition)
Glauben zu leben, wo manche Gläubige, statt Brücken zu sein, zu Mauern wurden. Sie werden zu einem Hindernis ihres eigenen Glaubens, weil sie ihn zu ihrem eigenen Nutzen verwenden, für ihre eigene Ideologie oder nur, um es bequem zu haben. Als negative Beispiele können wir einige zeitweilige enge Verbändelungen von Sektoren der katholischen Kirche mit der Macht nennen. Ein anderer Defekt ist die Wohltätigkeit in der Art, wie Susanita aus dem Comic Mafalda sie praktiziert: »Ich gebe eine Canasta-Teeparty mit vielen Sandwiches, Törtchen und anderen Leckereien, um dann Polenta, Nudeln und all dieses fiese Zeug kaufen zu können, das die Armen essen.« Diese Wohltätigkeit ist weder christlich noch sozial und weit entfernt vom Glauben. Ich gehe von dem aus, was Sie gesagt haben: Wenn heute ein Geistlicher Amos predigen würde, in die heutige Sprache übersetzt, damit es verstanden wird, würde man ihn als Kommunisten und Drittweltler behandeln, man würde kaum weniger, als ihn ins Gefängnis zu stecken, versuchen. Das Wort Gottes ist bezüglich der sozialen Gerechtigkeit viel stärker als das, was wir tun oder sagen können oder was unsere Gemeinschaften hinnehmen. Eindrucksvoll, oder? In den 1970er Jahren gab es von allem etwas, auf jeden Fall florierte damals das soziale Engagement. In jener Zeit konnte ein Geistlicher keinen Wohltätigkeits-Stil nach Art von Susanita pflegen, er musste Seite an Seite mit den Bedürftigen stehen. Nur verfiel man in einigen Fällen der Gefahr der Ideologisierung. Es gab Geistliche, die später das Priesteramt niederlegten oder außerhalb der gesunden Entwicklung der Kirche blieben und Repression durch das Establishment erlitten. In jenen Jahren gab es Aufstände von Geistlichen in Rosario, in Mendoza, wo sich das Disziplinäre mit dem Religiösen und Sozialen vermischte. Etwas anderes ist die Strenge der Propheten. Es gibt viele Beispiele aus den ersten Jahrhunderten des Christentums wie die Homilien des heiligen Johannes Chrysostomus. Wollte ein Geistlicher sie heute vortragen, wäre die Hälfte der Gemeinde entsetzt, weil sie – eben so, wie es die Propheten taten – die Dinge beim Namen nannten. Die Kirche bewies immer soziales Engagement. Man muss sich nur die Ordensgemeinschaften in Argentinien ansehen, sie unterhielten Waisenhäuser, Schulen, Krankenhäuser. Es waren religiöse Männer und Frauen, die sich dem sozialen Dienst verschrieben hatten. Die Geistlichen, die die Arbeit mit den Ausgegrenzten aufnahmen, waren keine Neuheit der 1970er Jahre, bereits bei der Gelbfieberseuche von 1870 starben 68 Nonnen, die Kranke pflegten. Später begannen sich die Laien der sozialen Hilfe in Form von Wohltätigkeitsgesellschaften anzunehmen. Besondere Erwähnung verdient die Stiftung Eva Perón. Als Evita einen Weg der sozialen Verpflichtung vorschlägt, zuerst im Arbeitsministerium, später in ihrer Stiftung, kommt es zu einem Konflikt mit der alteingesessenen Wohltätigkeitsgesellschaft des Establishments, denn sie bringt das Neue, sie bringt mehr soziale Integration. Beachten Sie, dass die Kirche sich zu Beginn nicht gegen Perón stellte, der eine große Nähe zu manchen Klerikern hatte. Perón wollte Elemente der Soziallehre der Kirche verwenden und baute viel davon in seine Bücher und Entwürfe ein. Einer der Männer, der ihn mit diesen Elementen versorgte, war Bischof De Carlo von Resistencia. Er war eng mit dem Paar befreundet und half ihnen, einige ihrer sozialen Bücher zu schreiben. Er arbeitete viel mit ihnen zusammen, sogar in solchem Maße, dass die peronistische Regierung ihm am Kreisverkehr an der Einfahrt nach Resistencia ein Seminar baute. Jedes Mal, wenn Perón dort hinfuhr, sprach er vom Balkon des Seminars aus zum im Kreisel versammelten Volk. De Carlo beäugte man ein wenig schräg, man warf ihm vor, sehr in die neue Politik involviert zu sein. Er war ein großer Bischof, er sagte, er habe nie über sein Gewissen verhandelt, und das ist die Wahrheit. Es gibt eine interessante Anekdote dazu. Bei einem dieser Besuche in Resistencia sagte Perón zu seinen Zuhörern, dass er eine Verleumdung aufklären wolle: »Es heißt, Bischof De Carlo sei Peronist. Das stimmt nicht – Perón ist ein Anhänger von De Carlo.« Zu Beginn gab es Unterstützung für Perón innerhalb des Christentums, um den sozialen Weg zu verdeutlichen. Nun gab es neben jenem Sektor noch einen anderen, liberaleren, der die antiperonistische Strömung versammelte. Das sind diejenigen, die sich der
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