Über jeden Verdacht erhaben
Carl, möchtest du ein Schnäpschen?«
»Ja gern, das wäre ausgezeichnet, mein lieber Boris Nikolajewitsch«, sagte Carl, nachdem er seinen Impuls niedergekämpft hatte, nein zu sagen. Dann salutierte er kurz zu den betrunkenen Gangstertypen hin. Er nahm die Uniformmütze ab, die er nach russischer Manier aufbehalten hatte, bis die Begrüßung überstanden war. Dann zog er am Tisch einen Lederstuhl zu sich heran und gab den beiden anderen noch die Hand. Einer von ihnen schob Carl mit unsicheren Handbewegungen ein schon benutztes Glas hin und füllte es mit einigen Dezilitern Wodka. Carl hob es sofort zu Boris Jelzin, sah es an und konzentrierte sich eisern, bevor er es mit einem Zug leerte. Er stellte es mit einem Knall auf den Tisch und ließ sich den Versuch eines wohligen Lauts entfahren.
Während sein Glas wieder gefüllt wurde und er sich die größte Mühe gab, den ungewohnt heftigen Kontakt mit Alkohol zu überspielen, sah er sich verstohlen um. Er vermutete, daß die beiden Figuren, die aussahen wie Gangster, Boris Jelzins berühmte Leibwache waren, die den boshafteren Gerüchten in Moskau zufolge die eigentliche Macht im neuen demokratischen und kapitalistischen Staat darstellten.
»Teufel, wie schön, daß du mal kommen konntest«, sagte Boris Jelzin. »Aber meinetwegen hättest du dich nicht so aufzudonnern brauchen, alter Freund. Skål!«
Der Präsident hob sein Wasserglas mit Wodka, und da blieb Carl nichts anderes übrig, als noch einmal den Inhalt seines Glases zu kippen. Er erkannte, daß er in einer halben Stunde sturzbetrunken sein würde, wenn es in diesem Tempo weiterging.
»Mann, ist das schön. Sonst habe ich heute nicht sehr viel Spaß gehabt«, lallte der Präsident, während einer der Gangstertypen die Gläser erneut füllte. »Sag mir, Carl, kann ich etwas für dich tun? JA! Wir haben heute morgen ein paar Polizisten gefeuert, das war ein Spaß. Wo war ich stehengeblieben? Ja, falls es etwas gibt, was ich für dich tun kann? Du weißt doch, daß ich es dir einmal versprochen habe?«
»Ja, das weiß ich, mein lieber Boris Nikolajewitsch, und aus diesem Grund bin ich auch hier«, sagte Carl, dem sich im Kopf schon alles drehte. »Ich bin in einer Angelegenheit gekommen, bei der es um Leben und Tod geht. Es betrifft unseren gemeinsamen Freund Jurij Tschiwartschew.«
»Jurij? Ja!« brüllte der Präsident, als ihm einfiel, von wem sie sprachen. »Da hol mich dieser und jener. Wie geht es Jurij Gennadjewitsch denn, deinem alten Kumpel?«
»Nicht sehr gut«, erwiderte Carl knapp. »Aber du und ich, wir könnten ihn und Rußland gemeinsam aus einer schwierigen Situation befreien.«
»Mein lieber Carl, schön, dich zu sehen, aber meinetwegen hättest du dich gar nicht so aufzudonnern brauchen, wirklich nicht«, sagte der Präsident. Er hob plötzlich mit einem Ruck den schwankenden Kopf und sah Carl direkt in die Augen, so gut er vermochte. »Sag es mir, Carl. Nur ein Wort von dir, und wir erledigen das sofort, worum du auch bittest. Skål!«
»Skål«, sagte Carl resigniert und machte sich innerlich für die dritte Runde bereit.
7
»Sollte ich dir mit einer so frühen Besprechung Ungelegenheiten bereitet haben, tut es mir leid«, sagte Carl nach einem schnellen Blick auf Rune Jansson. Dieser sah noch sehr müde aus. Dann wies Carl mit der Hand auf die Sitzgruppe.
»Ganz und gar nicht«, murmelte Rune Jansson und ließ sich demonstrativ schwer auf einen der ächzenden Ledersessel sinken.
»Ich habe gerade Kaffee gemacht«, sagte Carl und verschwand durch eine Seitentür. Sie schien in eine kleine Pantry zu führen, in der er mit Tassen und Tellern zu klappern begann.
Rune Jansson sah sich erstaunt um. Jetzt begriff er, weshalb man Carl bei der Säpo den Schwarzen Admiral nannte. Das ganze Zimmer sah aus, als befände er sich in der Kommandantenkabine eines älteren Kriegsschiffs. In einer Ecke des Zimmers entdeckte er über dem Schreibtisch sogar die Porträts des Königs und der Königin. Auf dem Eibentisch mit den Messingbeschlägen vor der Sitzgruppe standen zwei randvolle DIN-A 4-Aktenordner, auf deren Rückseite stand: Dezernat A, Rune Jansson I–II.
»Mein Arbeitstag beginnt früh«, erklärte Carl, als er mit einem Tablett aus Edelholz zurückkam. Darauf standen eine Kaffeekanne, Tassen und Teller, Milch, Zucker und ein paar Hörnchen. Er stellte Rune Jansson Tasse und Teller hin.
Rune Jansson erklärte, er trinke den Kaffee am liebsten schwarz, und auf das Gebäck
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