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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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der Einsicht befiel den Mann dann eine ungeheure Trauer, die sich zunächst in der Form eines unartikulierten Brüllens äußerte, das in einem großen Teil des Krankenhauses zu hören war. Dann fing der Mann ungehemmt an zu weinen.
    Wallander fühlte sich vollkommen hilflos. Einige Sekunden lang befiel ihn ein Mitleid, das er jedoch schnell verdrängte. Der Mörder schluchzte jetzt laut, und ein Schwall unbegreiflicher italienischer Worte strömte ihm aus dem Mund.
    Wallander blieb mit schlaff herabhängenden Armen eine Weile stehen und beobachtete den Gefühlsausbruch. Er versuchte zu verstehen, was er sah, doch seine Phantasie reichte nicht aus. Vielleicht war es wie bei einem Unfall im Arbeitsleben. Der geliebte Vetter war bei seiner Arbeit als Maurer vom Dach gefallen, etwas in der Richtung. Und die Ermordung alter Weiber in einem fremden Land war eben nur ein Job.
    Wallander schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer, um die herbeieilenden Krankenschwestern zu warnen und darüber aufzuklären, was passiert war. Anschließend mußte er sich ins Polizeihaus begeben, um eine möglichst schnelle Überführung des Mörders sicherzustellen.

2
    Die Universität in Umeå unterscheidet sich kaum von den anderen großen Universitäten, zumindest nicht in der Organisation der Studentenschaft. Allerdings bezeichnen sich die Verwaltungsangestellten der landsmannschaftlich organisierten Studenten nur als Verwaltungsangestellte und nicht als gewählte Vertreter. Zudem gibt es einen Universitätsrektor, der in den USA gelebt und das Wort »Campus« statt Universitätsgelände eingeführt hat.
    Unter den wenigen belastenden Aufgaben dieser Verwaltungsangestellten findet sich der stehende Auftrag, interessante Persönlichkeiten dazu zu bringen, nach Umeå zu kommen, um interessante Vorträge zu halten und das Vergnügen zu genießen, die Studenten Norrlands kennenzulernen, wie es in den Einladungen zu heißen pflegt. Während des Wintersemesters hatten unter anderem Finanzministerin Anne Wibble und Ministerpräsident Carl Bildt zugesagt; dieser fand sich jedoch erst ein, als er nicht mehr Regierungschef war, doch dafür sprach er über die Frage des Beitritts zur EU.
    So war es eben: Bei Politikern konnte eine große Universität mit einer angemessenen Zahl von Zusagen rechnen, besonders vor einer Wahl. Bekannte Schriftsteller und sonstige interessante Männer und Frauen entschuldigten sich jedoch normalerweise mit Zeitmangel, langen Reisen und ähnlichem.
    Bei den zwei jährlichen Treffen der Verwaltungsangestellten, bei denen ein Brainstorming stattfand, um interessante Vortragsgäste außerhalb der akademischen Welt zu gewinnen, tauchten manchmal – mehr oder weniger scherzhaft – die seltsamsten Namen auf. Eine große Zahl von Einladungen wurde verschickt. Einige wurden überhaupt nicht beantwortet, einige mit Nein und sehr wenige mit Ja. Das überraschte niemanden.
    Nach Carl Hamiltons Ernennung zum neuen Chef der schwedischen Sicherheitspolizei hatte irgendein heller Kopf routinemäßig eine Einladung an die »Säpo in Stockholm« abgeschickt – tatsächlich mit diesem Adressaten – und nach einiger Zeit die höfliche, aber keineswegs überraschende Antwort einer Sekretärin erhalten. Der Zeitplan des Generaldirektors sei im Augenblick sehr eng, er hoffe aber, daß die Einladung noch gelte, falls es sich ihm als möglich erweisen werde, etwas später im Herbst zu kommen.
    Das Schreiben war nicht einmal als halbe Zusage aufgefaßt worden, sondern vielmehr als Mangel an Urteilsvermögen desjenigen, der auf den Einfall gekommen war, die Einladung abzuschicken. Hamilton hatte sich nach seiner Ernennung überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, und es war nicht schwer zu erraten, daß dies in erster Linie mit seiner privaten Situation zu tun hatte. Wer würde sich schon gern als Vortragsredner engagieren und vor Studenten den Intellekt sprühen lassen, nachdem seine Familie von Mafia-Mördern ausgelöscht worden war?
    Nachdem die Einladung beantwortet worden war, war unten in Schonen überdies seine Mutter ermordet worden.
    Folglich fiel es dem Verwaltungsangestellten Mattias Johansson schwer, etwas anderes anzunehmen, als daß jemand den Studenten einen Streich spielen wollte, als er den Brief las. Daß er ihn als erster las, lag daran, daß er am Morgen als erster im Verwaltungstrakt erschienen war, wenn auch recht spät, da er am Vorabend noch ein anstrengendes Fest mitgemacht hatte.
    Der Brief machte

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