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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nachzugrübeln, besonders beim Essen.
    Erik Ponti war Ehrenmitglied der Stockholmer Landsmannschaft in Uppsala. Das lag jedoch eher daran, daß er dort einige Male Vorträge über investigativen Journalismus gehalten hatte, über das Zusammenspiel zwischen Politikern und Massenmedien sowie ähnliche Themen, als daran, daß er in Uppsala studiert hatte. Zwar hatte er an der Universität von Uppsala Jura studiert, doch das nur vierzehn Tage lang. Das lag daran, daß zu der Zeit die fröhlichen Sechziger herrschten und er mit unschuldsvoller Anfängerfreude in einen Wirbel aus freizügiger Erotik und feuchtfröhlichen Studentenfesten eintauchte. In sozialer Hinsicht waren es gewiß zwei sehr ereignisreiche Wochen gewesen, doch das Jurastudium war dabei zu kurz gekommen. An einem stark verkaterten Morgen war er plötzlich zur Einsicht gekommen und sofort nach Stockholm zurückgezogen, bestens kuriert von allen romantischen Vorstellungen, man müsse »den Studien obliegen«, und das in einem völlig anderen Sinn, als er es erlebt hatte.
    Seine Mitgliedschaft in der Stockholmer Landsmannschaft kam ihm jetzt zum ersten Mal in fast dreißig Jahren gut zupaß; schon rein praktisch war jeder Versuch unmöglich, den Auftrag mit dem Hinweis, er sei nach Tschetschenien unterwegs, auf einen anderen abzuwälzen. Komischerweise gab es beim Echo des Tages keinen anderen Angehörigen der Stockholmer Landsmannschaft in Uppsala.
    Und als jetzt bekannt wurde, daß Hamilton erneut vor Studenten auftreten werde, nämlich in Uppsala, und daß nur Mitglieder der Stockholmer Landsmannschaft Zutritt erhalten würden und daß von Privilegien für Vertreter der Massenmedien keine Rede sein könne, konnte er kaum etwas einwenden. Der Nachrichtenwert an sich war unbestreitbar. Als Hamilton zum ersten Mal vor Studenten aufgetreten war, waren einige unerwartet interessante Dinge gesagt worden. Außerdem waren nur Stunden nach Hamiltons Auftritt zwei Personen ermordet worden. Das war viel auf einmal. Erik Ponti hatte in der Diskussion schnell nachgegeben und war damit gezwungen worden, das kleine Familienessen abzusagen, das er oft zu organisieren versuchte, wenn er für längere Zeit verreiste. So wie es jetzt aussah, würde er nach all der Redaktionsarbeit spät nach Hause kommen und außerdem noch in der Nacht packen müssen, da die Maschine nach Moskau um neun Uhr am nächsten Morgen abflog. Er hatte eine eigentümliche Reiseroute vor sich, unter anderem über Minsk.
    Mit leicht zwiespältigen Gefühlen resignierte er und erklärte, er werde den Job übernehmen. Doch als die Entscheidung erst gefallen war und alle Entschuldigungen zu Hause abgehakt waren, machte er sich energisch an die Arbeit, um den Auftrag zu einem Erfolg zu machen.
    Durch die Lehren vom letzten Mal gewitzt, fuhr er mehrere Stunden zu früh nach Uppsala, um sich eventuell in eine Schlange einreihen zu können, aber auch, um irgendeinen Studenten zu finden, der sich bereit erklärte, in seinem Auftrag bestimmte Fragen zu stellen. Hamilton hatte beim letzten Mal sehr abweisend auf Fragen reagiert, die nicht von Studenten gestellt worden waren.
    Erik Pontis Planung funktionierte besser, als er hatte hoffen können. Wie üblich sollte der Gast nämlich nach einem längeren Studentenessen oben im zweiten Stock des Landsmannschaftshauses sprechen. Die Kollegen von anderen Medien, die ebenfalls nach Uppsala eilten, hatten sich offenbar vorgenommen, erst dann zu erscheinen, wenn die Studenten zu Ende gegessen und gegrölt hatten. Daraus wurde jedoch nichts.
    Denn als das Essen begann, wurden die Türen geschlossen. Wer danach noch hineinwollte, mußte anschließend nachweisen können, daß er tatsächlich einen Platz an einem der langen Tische hatte; das wurde von hochgewachsenen Männern mit steinernen Gesichtern kontrolliert. Erik Ponti war als Ehrenmitglied eingeladen worden. Er hatte zunächst ablehnen wollen, da er das Gefühl hatte, viel zu alt zu sein, um ein Studentenessen richtig genießen zu können. Doch dann hatte er vermutet, daß es im Wettlauf mit der Konkurrenz vielleicht höchst vorteilhaft sein könnte, vor allen anderen hineinzukommen.
    Es machte ihm keine Mühe, die Schnapslieder über sich ergehen zu lassen, nachdem er erst mal dort saß. Er hatte nämlich erst dann erfahren, daß niemand mehr Einlaß finden würde, ob nun im Besitz eines Presseausweises oder beherzigenswerter Gründe. Dies war eine Anweisung von Hamilton persönlich, sogar mit dieser Wortwahl:

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