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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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Bruder, ein scharfer, plötzlicher Stich ins Herz … Ich bin keine kleine Schwester mehr . Bin überhaupt keine Schwester mehr … Punkt.
    Joe kann seine Bewunderung kaum verbergen, und das haut mich um. Ich war genauso. Wenn ich Bailey vorgestellt habe, kam ich mir immer vor, als würde ich der Welt das allergeilste Kunstwerk präsentieren.
    »Marcus verbringt seine Sommerferien bei uns, er geht auf die UCLA. Er und mein ältester Bruder spielen da in einer Band.« Brüder, Brüder und noch mehr Brüder.
    »Hi«, sage ich zu einem weiteren Strahlemann. Chez Fontaine kann man auf Glühbirnen ganz bestimmt verzichten.
    »Ich hab gehört, du spielst ziemlich irre Klarinette«, sagt Marcus. Daraufhin werde ich rot, daraufhin wird Joe rot und daraufhin lacht Marcus los und boxt seinen Bruder in den Arm. Ich höre ihn flüstern: »O Joe, dich hat’s aber schlimm erwischt.« Dann wird Joe noch roter, wenn das möglich ist, und er schießt ins Haus und holt eine Lampe.
    Wenn es Joe so schlimm erwischt hat, warum macht er dann nichts? Ich weiß, ich weiß, ich bin ja Feministin, ich könnte ja was machen, aber ich habe a) noch nie im Leben jemanden angemacht und weiß nicht, was man macht, wenn man anmacht, b) bin ein bisschen zu sehr mit dem kleinen Vogel in meinem Oberstübchen beschäftigt, der da nicht hingehört, und c) Rachel – na ja, ich weiß ja, dass er jeden Morgen bei uns zu Haus verbringt, aber
woher soll ich wissen, dass er die Abende nicht mit ihr verbringt?
    Grama hat was übrig für die Fontaine-Jungs. Sie flitzt auf dem Hof herum und erzählt ihnen immer wieder, wie gut sie aussehen, und fragt sie, ob ihre Eltern je daran gedacht hätten, sie zu verkaufen. »Ich wette, die würden einen ganz schönen Reibach mit euch Jungs machen. Was für eine Schande, solche Wimpern auf Jungs zu verschwenden. Findest du nicht auch, Lennie? Würdest du für solche Wimpern etwa nicht morden?« Gott, ist mir das peinlich. Aber sie hat recht mit den Wimpern. Auch Marcus blinzelt nicht, er plinkert wie Joe.
    Grama schickt Joe und Marcus nach Hause, damit sie ihren dritten Bruder holen, denn sie ist überzeugt davon, dass sämtliche Fontaine-Brüder dem Ritual beiwohnen müssen. Offensichtlich stehen sowohl Marcus als auch Joe in ihrem Bann. Wahrscheinlich könnte Grama sie dazu kriegen, eine Bank für sie auszurauben.
    »Bringt eure Instrumente mit«, ruft sie ihnen hinterher. »Du auch, Lennie.«
    Ich tu wie mir geheißen und hole meine Klarinette aus dem Baum, in dem sie mit einer Auswahl meiner anderen weltlichen Güter ruht. Dann tragen Grama und ich einige der Töpfe, die sie als Glück bringend befunden hat, ins Haus zurück, um das Abendessen zu kochen. Sie bereitet das Hühnerfleisch vor, während ich die Kartoffeln viertele und mit Knoblauch und Rosmarin würze. Als alles im Ofen schmort, sammeln wir draußen heruntergefallene Pflaumen für einen Pie. Sie rollt den Teig aus und ich schneide indessen
Tomaten und Avocados für den Salat in Scheiben. Jedes Mal, wenn sie an mir vorbeigeht, tätschelt sie meinen Kopf oder drückt mir den Arm.
    »Ist es nicht schön, wieder zusammen zu kochen, meine kleine Wicke?«
    Ich lächele sie an. »Ja, Grama.« Na, bis eben war es das noch, denn jetzt guckt sie mich wieder mit diesem Rededoch-mit-mir-Lennie-Blick an. Die gramamesischen Verkündungen werden gleich beginnen.
    Und los geht’s. »Lennie, ich mach mir Sorgen um dich.«
    »Mir geht’s gut.«
    »Es wird wirklich Zeit. Räum wenigstens ein bisschen auf, mach ihre Wäsche – oder lass mich das machen. Ich kann es erledigen, während du bei der Arbeit bist.«
    »Ich mach das«, sage ich wie immer. Und ich werde es auch tun, ich weiß nur noch nicht, wann.
    Dramatisch lässt sie die Schultern sinken. »Ich dachte, wir beide könnten nächste Woche mal in die Stadt fahren, Mittagessen gehen-»
    »Nicht nötig.«
    Ich konzentriere mich wieder auf meine Aufgabe. Ich will ihre Enttäuschung nicht sehen.
    Sie seufzt auf ihre laute, einsame Weise und macht sich wieder über ihren Teig her. Telepathisch bitte ich sie um Verzeihung. Ich sage ihr, dass ich mich ihr im Moment einfach nicht anvertrauen kann, ich sag ihr, dass dreißig Zentimeter zwischen uns sich anfühlen wie dreißig Lichtjahre, die uns trennen – und dass ich nicht weiß, wie die zu überbrücken sind.

    Telepathisch antwortet sie mir, dass ich ihr das gebrochene Herz breche.
    Die Jungs kommen zurück und stellen uns den ältesten Fontaine vor, der auch über

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