Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
kaputt
machen. Wir lassen uns los, Sarah droht ihnen mit ihrem feministischen Buch wie eine religiöse Fanatikerin – und ich muss lachen.
Als sie weg sind, holt sie noch eine Zigarette aus ihrem Rucksack und tippt mir damit leicht aufs Knie. »Diese Tobysache, die kapier ich einfach nicht.« Sie zündet die Kippe an, wie ein Metronom schüttelt sie das Streichholz noch lange, nachdem es aus ist. »Wart ihr Konkurrentinnen, du und Bailey? Ihr habt nie so gewirkt wie diese Schwestern in König Lear. Hab ich wenigstens nie so gesehen.«
»Nein, waren wir nicht. Nein … aber … ich weiß nicht, ich hab mich das auch gefragt -«
Ich hab mich da kopfüber in das gestürzt, was Big letzte Nacht gesagt hat, das enorm große Etwas.
»Erinnerst du dich an damals, als wir beim Kentucky-Derby zugeschaut haben?«, frage ich, keine Ahnung, ob das für irgendjemanden einen Sinn ergibt, abgesehen von mir.
Sie guckt mich an, als wäre ich verrückt. »Ja, äh, warum?«
»Hast du bemerkt, dass die Rennpferde diese Beistellponys hatten, die ihnen nicht von der Seite wichen?«
»Glaub schon.«
»Also, ich glaub, so war das mit mir und Bailey.«
Sie schweigt eine Weile, stößt eine lange Rauchfahne aus und sagt dann: »Ihr wart beide Rennpferde, Len.« Ich merke aber, sie glaubt das nicht, sie will einfach nur nett sein.
Ich schüttele den Kopf. »Komm, echt jetzt, ich war keins. Gott, überhaupt nicht. Ich bin keins.« Und das liegt an niemand
anderem als mir. Bailey ist genauso durchgedreht wie Grama, als ich den Unterricht geschmissen habe.
»Willst du’s sein?«, fragt Sarah.
»Vielleicht«, sage ich, ein Ja bringe ich nicht ganz zustande.
Sie lächelt, dann beobachten wir schweigend, wie ein Auto nach dem anderen vorüberschleicht, die meisten vollgepackt mit lächerlich grellen Gummiteilen für den Fluss: Giraffenboote, Elefantenkanus und dergleichen. Schließlich sagt sie: »Muss ganz schön scheiße sein so als Beistellpony. Jetzt nicht im übertragenen Sinn, ich mein, wenn du ein Pferd bist. Lass dir das mal durch den Kopf gehen. Selbstaufgabe rund um die Uhr, tagein, tagaus, kein Ruhm, keine Ehre … die sollten eine Gewerkschaft gründen und ihr eigenes Beistellpferderennen abhalten.«
»Eine neues Projekt für dich.«
»Nein. Mein neues Projekt ist, die heilige Lennon in eine Femme fatale zu verwandeln.« Sie grinst. »Nun kommschon, Len, sag Ja.«
Ihr Kommschon, Len erinnert mich an Bailey, und ehe ich weiß, was ich tu, höre ich mich schon sagen: »Okay, gut.«
»Ich geh da ganz subtil vor, das verspreche ich.«
»Ist ja deine Stärke.«
Sie lacht. »Ja, du bist ja so im Arsch.«
Die Idee ist hoffnungslos, aber eine andere hab ich nicht. Ich muss etwas tun und Sarah hat recht, es kann ja nicht schaden, sexy auszusehen – vorausgesetzt, ich kann sexy aussehen. Ist schließlich wahr, dass Verführung in Filmen kaum je fehlschlägt, und das gilt besonders für französische Filme. Also füge ich mich Sarahs Sachverstand, Erfahrung, dem
Konzept der jouissance und die Operation Verführung läuft offiziell an.
Ich habe ein Dekolleté. Melonen. Hammerdinger. Möpse. Megatitten. Handvollweise Busen quillt aus dem winzigen schwarzen Kleid, das ich am helllichten Tag bei der Orchesterprobe tragen werde. Ich bin gut bestückt, eine vollbusige Lola. Ich mageres Ding bin ausgesprochen kurvenreich. Wie bringt ein BH so was bloß fertig? Anmerkung für Physiker: Materie kann doch aus dem Nichts erschaffen werden. Ganz zu schweigen davon, dass ich Plateauschuhe trage und zwei Meter siebzig lang zu sein scheine, mit Lippen rot wie Granatäpfel.
Sarah und ich haben uns in ein Klassenzimmer neben dem Musiksaal verdrückt.
»Bist du sicher, Sarah?« Wie konnte ich nur in dieser lächerlichen Episode von I Love Lucy landen?
»Noch nie war ich mir sicherer. Kein Typ wird dir widerstehen können. Aber ich mach mir ein bisschen Sorgen um Mr James, der überlebt das unter Umständen nicht.«
»Gut. Dann los«, sage ich.
Den Weg den Flur entlang nutze ich, um mir vorzustellen, dass ich jemand anders bin. Jemand in einem Film, einem französischen Schwarz-Weiß-Film, in dem jeder raucht, geheimnisvoll und verrucht ist. Ich bin kein Mädchen, ich bin eine Frau und ich werde einen Mann verführen. Wem will ich hier eigentlich was vormachen? Ich krieg Panik und renne wieder zurück in das Klassenzimmer. Sarah folgt mir, meine Brautjungfer.
»Lennie, kommschon.« Sie ist gereizt.
Da ist es wieder, dieses Lennie
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