Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
kommschon . Ich versuche es noch einmal. Dieses Mal denke ich an Bailey, an die Art wie sie dahingeglitten ist und ihren Auftritt inszeniert hat – und mühelos segele ich in den Musiksaal.
Ich bemerke sofort, dass Joe nicht da ist, doch es ist ja noch Zeit, bis die Probe anfängt, so etwa fünfzehn Sekunden, und er kommt immer früh, aber vielleicht ist er ja aufgehalten worden.
Vierzehn Sekunden: Sarah hatte recht, alle Jungs starren mich an, als wäre ich aus einem Pin-up-Magazin gestiegen. Rachel lässt fast die Klarinette fallen.
Dreizehn, zwölf, elf: Mr James reißt die Arme hoch wie im Triumph. »Lennie, du siehst hinreißend aus!« Ich erreiche meinen Platz.
Zehn, neun: Ich baue meine Klarinette zusammen, aber ich will das Mundstück nicht mit Lippenstift vollschmieren. Lässt sich nicht verhindern.
Acht, sieben: Stimmen.
Vier, drei: Ich dreh mich um. Sarah schüttelt den Kopf, formt mit den Lippen das Wort: verdammtunglaublich .
Zwei, eins. Die Ankündigung, die ich jetzt erwarte. »Wir wollen anfangen. Tut mir leid, euch mitteilen zu müssen, dass wir unseren Trompeter fürs Festival verloren haben. Joe wird stattdessen mit seinen Brüdern auftreten. Nehmt eure Bleistifte, es gibt Änderungen.«
Ich lasse meinen glamourösen Kopf in die Hände sinken und höre Rachel sagen: »Hab ich dir doch gesagt, dass der nicht in deiner Liga spielt, Lennie.«
28. Kapitel
(Gefunden auf der Rückseite eines Flugblatts auf dem Bürgersteig der Main Street)
»MÖGE DIE MACHT mit dir sein«, sagt Sarah und schickt mich auf den Weg, und zwar den Hügel hinauf zu den Fontaines im bereits erwähnten Cocktailkleid, mit Plateausohlen und Megamöpsen. Den ganzen Weg nach oben wiederhole ich ein Mantra: Ich bin die Autorin meiner Geschichte und ich kann sie so erzählen, wie ich es will. Ich bin Solistin. Ich bin ein Rennpferd .
Ja, damit hab ich mich für die Kategorie der Extradurchgeknallten qualifiziert, aber es wirkt und ich komme damit auf den Hügel. Fünfzehn Minuten später schaue ich hoch zum Maison Fontaine, um mich herum knistert das trockene Sommergras, in dem verborgene Insekten summen. Dabei fällt mir etwas ein: Wie in aller Welt weiß Rachel, was mit Joe passiert ist?
In der Auffahrt sehe ich einen Mann, ganz in Schwarz gekleidet mit einem Schopf weißer Haare, der wie ein Derwisch mit den Armen herumwedelt und auf Französisch eine elegante Frau in einem schwarzen Kleid (ihres passt zu ihr) anbrüllt, die einen ebenso angefressenen Eindruck macht. Sie faucht auf Englisch zurück. An diesen beiden Panthern will ich auf keinen Fall vorbei, deshalb schleiche ich mich auf die andere Seite des Anwesens und schlüpfe unter die riesige Weide, die wie eine Königin über den Garten herrscht, der dicke Blättervorhang fällt wie ein schimmerndes grünes Ballkleid um Stamm und Äste und bietet das perfekte Versteck für eine Lauscherin.
Ich brauche einen Moment, um meine Nerven zu stählen, deshalb laufe ich in meiner neuen schimmernd grünen Wohnung herum und versuche mir zurechtzulegen, was ich
tatsächlich zu Joe sagen soll, ein Punkt, den Sarah und ich beide zu bedenken vergessen haben.
Und da höre ich es: Klarinettentöne schweben aus dem Haus hinaus, die Melodie, die Joe für mich geschrieben hat. Mein Herz macht einen hoffnungsvollen Satz. Ich gehe rüber zu der Seite des Maison Fontaine, die an den Baum angrenzt, – immer noch im Schutz des Blättervorhangs – stelle mich auf die Zehenspitzen und sehe durch das offene Fenster ein Stück von Joe, der im Wohnzimmer Bassklarinette spielt.
Und so beginnt mein Leben als Spionin.
Ich sag mir, nach diesem Lied werde ich an der Tür klingeln und für alles geradestehen. Aber dann spielt er die Melodie noch einmal und noch einmal, und ehe ich weiß, was mit mir geschieht, liege ich auf dem Rücken, lausche dieser faszinierenden Musik und suche in Sarahs Handtasche nach einem Stift, den ich ebenso wie ein Stück Papier finde. Ich schreibe schnell ein Gedicht, das ich mit einem Stock in den Boden spieße, dann gleite ich zurück in diesen Kuss, trinke noch einmal den süßen Regen von seinen Lippen -
Und werde rüde von DougFreds genervter Stimme unterbrochen: »Mann, du machst mich wahnsinnig, dasselbe Lied immer und immer wieder, seit zwei Tagen geht das schon so, ich kann nicht mehr. Wir springen alle von der Brücke, gleich nach dir. Warum redest du nicht einfach mit ihr?« Ich springe auf und husche zum Fenster: Harriet, die kleine Detektivin als
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