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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Wenn wir beide schwiegen, blieb alles beim alten. Ich atmete durch den Mund, hechelte wie die Vögel, von denen ich wußte, daß sie in der Hitze ihre Atemfrequenz erhöhen. Ich hätte mich am liebsten ausgeatmet, aufgelöst. «Was tust du da», glaubte ich Vittorio zu hören, während ich ins Schlafzimmer eilte, um überall nach Beweisen zu suchen: in seiner Nachttischlade, im Kleiderschrank, in den Kartons unter dem Bett. Gleich würde er von seinem Spaziergang zurückkehren. Als gelte es, der Wahrheit zuvorzukommen, durchwühlte ich sämtliche Schubladen.Nichts. Nicht einmal Pornohefte. Carelli würde enttäuscht sein, und ein wenig war ich es selbst.
    Ich hielt ein Photo von Vittorio in der Hand, als ich hörte, wie er den Schlüssel ins Schloß steckte. Warum habe ich diese tief eingegrabenen Spuren auf seiner Stirn nicht früher bemerkt, dachte ich, als ich das gerahmte Bild auf den Nachttisch zurückstellte. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, stand da, mit dem Rücken zur Zimmertür, hoffte, er würde nicht merken, daß ich zwischen seinen Sachen herumgewühlt hatte. Ich hielt die Augen geschlossen. Gleich würde ich alles erfahren. Ich hörte, wie er das Zimmer betrat, meinen Namen aussprach, vernahm ein Rascheln, das ich nicht einordnen konnte – war es Papier? –, ein verwundertes «Hier bist du», schon umfaßte er meine Taille, drehte mich zu sich herum: «Für dich.» Es waren Iris. Im schwachen Licht des Schlafzimmers konnte man die violetten Blüten farblich kaum von den Blättern unterscheiden, nur die gelben Zeichnungen im Innern der Blumen sahen aus wie leuchtende Mandeln.
    Â«Was ist», sagte Vittorio, «freust du dich nicht?»
    Ich hielt mein Gesicht seitlich an sein Hemd gedrückt, spürte jeden Knopf, rieb die Wange am dünnen Baumwollstoff.
    Â«Schau mich an», sagte er, doch ich blieb, wo ich war, drehte nur den Kopf weg, so daß mein Gesicht nun zur Gänze von seinem Hemd zugedeckt war. Ich roch an ihm, nahm einen tiefen Zug, als wollte ich mich vergewissern, daß es Vittorio war, der vor mir stand. Aber er war es nicht. Ich kann mich auf meine Nase nicht mehr verlassen, dachte ich. Mir fielen die Experimente mit von Männern getragenen Hemden ein. Die weiblichen Versuchspersonen mußten an verschiedenen Hemden riechen und den Geruch als angenehm oder unangenehm klassifizieren. Paare, die sich riechen können, so das Ergebnis der Versuche, hätten die größten Reproduktionschancen.
    Vittorio legte den Blumenstrauß aufs Bett und nahm mein Gesicht in seine Hände. «Was ist los? Nun sag schon.»
    Ich wollte mich von ihm abwenden, doch er zwang mich, ihn anzusehen.
    Â«Es ist doch etwas.»
    Ich schwieg, kämpfte gegen die Tränen an.
    Â«Laß uns am Wochenende wegfahren.»
    Â«Das wird schwierig. Aber wir machen es uns hier schön.» Vittorio ließ mich los und griff nach den Iris. «Du solltest sie ins Wasser stellen.»
    Â«Magst du eigentlich, wie ich rieche?» Ich wickelte den Strauß aus dem Papier.
    Â«Du riechst wunderbar. Was du für Fragen stellst.» Vittorio ging zur Tür.
    Er roch mich nicht, höchstens mein Deodorant oder mein Parfum, davon war ich überzeugt. Er hatte mich schon seit Monaten nicht gerochen. Wenn der Körpergeruch dem immunologischen Typus eines Menschen entspricht, überlegte ich, dann zeigt er auch an, ob der potentielle Partner –
    Â«Das wird schon wieder», unterbrach Vittorio meine Gedanken.
    Â«Das», wiederholte ich und trat aus dem Halbdunkel des Schlafzimmers in das beleuchtete Vorzimmer. «Du riechst nicht mehr wie früher», sagte ich schnell und bedauerte im selben Moment, ihn verletzt zu haben. «Der Duft der Blumen ist nicht stark genug», setzte ich nach, obwohl er mir leid tat. Über uns hatte der Nachbar den Badewannenstöpsel aus dem Abfluß gezogen; es gluckerte in der Leitung.
    Vittorio rührte sich nicht von der Stelle, als wartete er darauf, daß ich weitersprach. Seine Arme hingen herunter. Im Licht des Vorzimmers traten die Winkel und Kanten scharf hervor. Nach dem Dämmerlicht im Schlafzimmer hatte der kleine ausgeleuchtete Vorraum etwas Bedrängendes, obwohldie Türen zum Schlafzimmer und zur Küche offen waren. Wir standen uns gegenüber; Vittorio verharrte, entsetzt, überrascht – ich verstand es nicht. Ich hatte

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