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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ihn ertappt, aber ich wußte nicht, wobei. Sein Kiefer zitterte leicht, als versuchte er sich zu kontrollieren. Ich nahm ihm die Blumen ab, zerknüllte das Papier mit der anderen Hand, indem ich es gegen den Oberschenkel drückte. Gelbbärtige Iris, dachte ich.
    Das Gluckern in der Leitung hatte aufgehört. Ich hörte nichts, nur das Papier bewegte sich; ich hatte es auf den Schuhkasten gelegt. Der Knäuel öffnete sich leicht, raschelte ein paarmal, dann trat wieder Stille ein.
    Â«Mama hat das Hemd gewaschen», sagte Vittorio ruhig, ging zum Schalter und drehte das Licht ab. «Als ich das letzte Mal ihren Keller ausgeräumt habe, hat sie darauf bestanden, es zu waschen.»
    Im Treppenhaus war in diesem Augenblick die Beleuchtung ausgegangen; ich bemerkte es an der Oberlichte über der Wohnungstür, hinter der es jetzt dunkel war.
    Â«Sie benutzt wohl ein anderes Waschmittel», sagte Vittorio. Er ging an mir vorbei, drehte sich aber gleich wieder um. «Du kannst nicht so weitermachen. Ständig denkst du an die Alten, rennst ihren Verwandten hinterher, machst Besorgungen. Jetzt schau mal auf dich, damit ich auch etwas von dir habe.»
    Ich starrte auf sein Hemd. Es war aus hellblauem, durchscheinenden Baumwollbatist. Vittorio kaufte selten Kleidungsstücke; die wenigen, die er besaß, waren ausgesucht und teuer. Deswegen glaubte ich, mich zu erinnern, daß er von dieser Art Hemd nur ein einziges, weißes besaß.
    Â«Und deine Mutter?» Ich wurde laut. «Gibt es ein Wochenende ohne deine Mutter?»
    Â«Also was jetzt», sagte Vittorio, «du beschwerst dich, daß die Alten sowenig Besuch kriegen, regst dich aber gleichzeitig auf, daß ich mich zuviel um meine Mutter kümmere.»
    Â«Deine Mutter hat Freunde. Sie ist mobil, unabhängig.»
    Â«
Mobil, unabhängig
», er äffte meine Stimme nach, «und was macht sie mit ihrer Mobilität? Nicht jeder hat einen
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, in dem er auftreten kann.» Er drehte sich um, ging zum Fernseher, setzte sich.
    Obwohl er wußte, daß ich im Türrahmen stand, tat er so, als wäre ich nicht da. Er schloß die Augen, öffnete sie nach kurzer Zeit wieder, weil die Spätnachrichten begannen.
    Â«Danke für die Blumen», sagte ich und wandte mich ab, um nach einer Vase zu suchen.
    Ich wachte auf, als Vittorio zu Bett ging und sich dabei am Nachttisch stieß. Er fluchte, tastete mit den Händen nach dem Schienbein.
    Was hatte ich nur geträumt, es wollte mir nicht einfallen. Ich war auf einer Einkaufsstraße, aber ich wußte nicht mehr, mit wem.
    Â«Mach doch Licht», sagte ich zu Vittorio, dessen Hand im Dunkeln nach meinem Gesicht suchte. Er strich mir mehrmals über die Stirn, kämmte mit den Fingern meine Haare.
    Â«Schlaf weiter», sagte er.
    Ich trug im Traum eine neue Hose, wahrscheinlich hatte ich sie noch nicht gewaschen, denn sie war steif und erzeugte bei jedem Schritt ein Wetzgeräusch, das sich anhörte wie der laute Atem eines Läufers. Wenn ich mich umdrehte, um den Jogger zu sehen, war keiner da.
    Â«Ich kann jetzt nicht weiterschlafen», sagte ich.
    Vittorio drehte sich zu mir herüber, umfing mich mit beiden Armen. Der sonderbare Geruch war verschwunden; er hatte geduscht.
    Â«Tut mir leid wegen vorhin», sagte Vittorio, «ich finde es großartig, wie du dich um die Alten kümmerst.»
    Er fing an, mich zu streicheln, und ich dachte, so streicheltman einen Hund, von dem man will, daß er bei einem sitzenbleibt. Ich war still, obwohl ich ihm gerne widersprochen hätte: daß ich mich nicht kümmerte, nur das Notwendigste erledigte; daß die Zeit für alles andere fehlte, weil am Personal eingespart würde; daß ich weder Carelli die Pornohefte gekauft noch Mancini mit genügend Zigaretten versorgt hätte.
    Â«Träum was Schönes», sagte Vittorio und kraulte meinen Nacken.
    Ich dachte an die Frau aus der anderen Abteilung, die jede Gelegenheit nutzte, um davonzulaufen. In meiner Vorstellung hatte ich ihr schon das Brustgeschirr umgelegt, wie es die Hunde der Polarforscher tragen, sie ans Bett gefesselt, um sie an ihren Ausbrüchen zu hindern.
    Â«Wo hast du den Eames-Sessel her?» fragte ich Vittorio.
    Â«Ist er nicht toll? Ein wahrer Glücksgriff.»
    Â«Ziemlich ramponiert», sagte ich und dachte an die kaputten Gummischeiben, «wird schwer zu restaurieren sein.»
    Â«Den

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