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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gelesen und wieder vergessen», sagte Irma.
    Â«Wo waren wir?» Zeder schüttelte den Kopf. «Das wird nichts ohne Respekt.»
    Â«Bei den
Affen
.» Irma hob die Mineralwasserflasche in die Höhe. Der Ober hatte sie bemerkt, er nickte ihr zu.
    Â«Ja, genau. Die Setzer waren die
Affen
, weil sie so eifrig die Lettern aus den Kästchen zusammengesucht haben. Und die Presser waren die
Bären
, weil sie ständig zwischen dem Schwärzetopf und der Presse hin und her gerannt sind.» Zeder schaute der jungen Frau hinterher, die einen Fünfeuroschein auf den Tisch geworfen hatte und jetzt das Café verließ.
    Â«Hin und her, wie die Bären im Käfig», sagte Zeder.
    Florian wollte nicht ins Bett, er hing an Irmas Hosenbeinen, da half nichts, kein Vorschlag, kein Versprechen. Sie setzte ihn auf den Boden, wollte ein Kinderbuch holen, er rappelte sich auf, lief hinter ihr her, schlug sie auf den Oberschenkel.
    Â«Jetzt ist Schluß», sagte Irma.
    Florian heulte auf, stampfte mit den Füßen. Irma ging in die Küche, ließ ihn schreiend zurück. Sie drehte den Wasserhahn auf, hielt die Hand in den Strahl. Ich muß mehr trinken. Als die Armatur sich beschlug, füllte sie das Glas, leerte es in einem Zug. Zeder fiel ihr ein, seine linkische Art, wie er die verschiedenen Falzarten auf einer Serviette aufgezeichnet hatte. Die DIN-A4-Bögen hatte er noch händisch zusammengetragen und übereinandergelegt, denn die maschinell rotierenden Rundtische waren für solche Formate ungeeignet gewesen.Keiner der bisherigen Interviewpartner hat sich so viel Mühe gegeben wie Zeder, dachte Irma, und keiner war so nett gewesen.
    Â«Laß das bitte», sagte Irma zu Florian, der jetzt an der Tür des Tiefkühlfachs rüttelte.
    Einmal in der Woche fuhr Zeder mit dem Bus auf den Kahlenberg, um von dort in die Weite zu blicken, bei gutem Wetter bis in die Ungarische Tiefebene. Er bräuchte das. Der Schmerz, daß Emmy nicht mehr da sei, würde da oben etwas nachlassen. «Ich stell’ mir dann vor, daß da unten in der Stadt ein paar Menschen sind, die mir ähneln; das gibt mir Kraft. Ich atme die Luft ein und aus, in die auch die Luft dieser anderen einmündet, dann geht es mir besser.» Wenn Zeder etwas Privates erzählt hatte, entschuldigte er sich und tat doch nichts lieber, als von seiner Familie zu reden. So erfuhr Irma zwischen Zeders Ausführungen über das Buchbindematerial und die diversen Papiersorten, daß die Tochter mit einem Ausstellungswagen des Naturhistorischen Museums durch die Lande tingelte, während der Sohn aushilfsweise
Deutsch als Fremdsprache
unterrichtete.
    Â«Willst du Wasser?»
    Florian nickte. Nachdem er getrunken hatte, wollte er von Irma getragen werden.
    Â«Du weißt doch, daß das nicht geht.» Sie ging in die Hocke, nahm ihn in die Arme, setzte sich mit ihm auf den Küchenboden, die Ladengriffe im Rücken. Die linke Hand hielt sie schützend vor den Unterbauch.
    Â«Was machen wir jetzt», sagte Irma, «soll ich dir eine Geschichte erzählen?»
    Florian nickte. Nach dem fünften Satz war er eingeschlafen, und Irma wußte nicht, wie sie ihn nun ins Bett bringen sollte, wo sie doch nichts Schweres heben durfte.
    Mitten in der Nacht öffnete Irma die Augen; sie konnte nicht wieder einschlafen; in diesem halbwachen Zustand zoomte sie all das Lächerliche, Alltägliche an sich heran; es wurde bedeutungsschwer und bedrohlich. Sie versuchte sich an den Traum zu erinnern: Davide war bei ihr in der Wohnung gewesen, hatte mit Florian die Modelleisenbahn aufgebaut – aus der Distanz sahen die beiden aus wie Vater und Sohn. Dann fiel ihr ein, daß sie mit Kreisky in der Küche gestanden war, daß sie zusammen darauf gewartet hatten, daß der Kaffee endlich kochte.
    Irma schaltete das Licht ein; auf dem Nachttisch lagen ein paar Blätter, da und dort hatte sie Notizen gemacht, wann, das wollte ihr nicht einfallen. Sie hatte Florian ins Bett getragen, war hernach auf dem Sofa eingeschlafen und hatte sich gegen dreiundzwanzig Uhr ins Bett gelegt. War sie noch einmal aufgewacht? Hatte sie da diese Wörter notiert?
Körperliche und biographische Restrukturierungen, die Ausgestaltung des Lebens, ich bin mein Körper, und ich habe einen Körper
. Sie stand auf, ging in die Küche, ertappte sich dabei, wie sie in die Spüle schaute, ob da noch die Tassen standen, aus denen

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